chronik des hinhaltens
: Rot-Grün verhinderte frühe Rückkehr von Kurnaz

Murat Kurnaz sollte nicht nach Deutschland zurückkehren, das war nach bisheriger Aktenlage die Auffassung der rot-grünen Regierung. Fast fünf Jahre war der in Bremen aufgewachsene Türke deshalb im US-Gefangenschaft vom Winter 2001 bis zum Sommer 2006. Dabei stellten deutsche Behörden schon früh fest, dass Kurnaz keine Verbindungen zu Terroristen hatte.

Bereits am 8. Oktober 2002 berichteten deutsche Ermittler nach einem Besuch im US-Sondergefängnis Guantánamo, dass Kurnaz zwar naiv gewesen sei, als er 2001 nach Pakistan reiste. Ein verfestigtes islamistisches Weltbild erkannten die Sicherheitsleute jedoch nicht, der Mann sei einfach „zur falschen Zeit am falschen Ort“ gewesen. Daraufhin soll Kurnaz bald nach Deutschland zurückgebracht und als Informationsquelle für die Islamisten-Szene genutzt werden.

Das ist jedoch am 29. Oktober 2002 schon wieder Makulatur. Die USA selbst haben angeboten Kurnaz freizulassen, doch Kanzleramt und BND lehnen ab. Stattdessen soll der Mann in die Türkei abgeschoben und seine Rückkehr nach Deutschland per Einreisesperre verhindert werden.

Nur einen Tag später beschließt das Innenministerium einen dreistufigen Plan: In einem ersten Schritt soll die Aufenthaltserlaubnis von Kurnaz für erloschen erklärt werden. Begründung: Er habe sich mehr als sechs Monate im Ausland aufgehalten. Als zweites wird eine Strategie gegen negative Berichterstattung erarbeitet. Die Schuld für das Ende der Aufenthaltserlaubnis soll auf den Anwalt von Kurnaz abgewälzt werden – der habe die Verlängerung versäumt. Mit einer dritten Maßnahme will das Innenministerium die im türkischen Pass von Kurnaz vermerkte Aufenthaltserlaubnis tilgen. Es lässt beim Verfassungsschutz anfragen, ob die deutsche Botschaft den Pass von den Amerikaner bekommen und die Seite mit der Genehmigung vernichten kann. Als die Amerikaner Anfang November 2002 Kurnaz freilassen wollen, teilt der Verfassungsschutz ihnen mit, die deutsche Regierung wünsche, dass Kurnaz „nicht nach Deutschland zurückkehre“. Das Innenministerium erlässt die Einreisesperre. Bei dieser harten Haltung bleibt die Regierung Schröder bis 2005, obwohl selbst die US-Justiz in der Zwischenzeit die Unschuld von Kurnaz festgestellt hat.

Nach der Bundestagswahl im Oktober 2005 diskutieren laut Aktennotiz des Auswärtigen Amtes Vertreter von Kanzleramt und Bundesinnenministerium des Öfteren über Kurnaz und einen möglichen Visumantrag des Inhaftierten. Sie kommen mit Joschka Fischers Außenministerium überein, eine Einreise weiterhin nicht zuzulassen.

Eine erste Niederlage für diese Hinhaltestrategie ist die Entscheidung des Bremer Verwaltungsgerichts vom 30. November 2005: Die Aufenthaltserlaubnis von Kurnaz ist nicht erloschen, sagen die Richter. Fischers Beamte mailen daraufhin nach Washington, das bedeute nicht, dass man Kurnaz „unbedingt gerne haben würde“,

Erst unter der neuen Kanzlerin Angela Merkel ändert sich das. Im Juli 2006 sagt sie, man verhandle mit den USA über eine Freilassung. Einen Monat später ist Kurnaz zurück in Deutschland. DAS