Tür an Tür mit dem Anderen

BINNENEXOTIK Das Hamburger Völkerkundemuseum widmet sich dem Leben „In deutschen Reihenhäusern“. Und kommt zu unerwarteten Einsichten

Dieser Bereich des Spektrums wird in all den stadtsoziologischen Untersuchungen kaum beachtet

Die afrikanische Figur steht im Bücherregal, die Elefanten haben ihren Platz auf dem Sofakissen, die Giraffe ist eine Türschlange: In seiner neuen Ausstellung sucht das Hamburger Museum für Völkerkunde die Fremde gleich in der Nachbarschaft. Als einziges europäisches Völkerkundemuseum hat das Haus auch eine Abteilung für Europa. Hier wird in der Gemeinsamkeit der Schwesterwissenschaften Völker- und Volkskunde der wechselseitige Blick für das Andere geschärft. Und so präsentiert man nun die Exotik deutscher Reihenhausbewohner.

Anders als in Großbritannien oder den Niederlanden leiden Reihenhäusler in Deutschland unter so manchem Vorurteil. Hält die ihnen rasch unterstellte ordnungsversessene Kleinbürgerei aber auch einer forschenden Überprüfung stand? Niemand von den an der Ausstellung Beteiligten wohnt selbst in einem Reihenhaus, das ihnen allen also so fremd erscheint wie das Indianertipi oder das Maorihaus anderswo im selben Museum; auch wenn alle irgendwie im Kopf haben, Altkanzler Helmut Schmidt lebe in so etwas.

Tatsächlich aber leben in deutschen Reihenhaussiedlungen überdurchschnittlich oft junge Familien und Migranten – und eben diese beiden Gruppen sind die Hauptadressaten des Hamburger Museums. Genug Grund also, in Fotos und Objekten der bisher weitgehend unbeachteten Spezies nachzugehen.

Der Fotograf Albrecht Fuchs hat – ursprünglich im Auftrag einer Wohnungsbaufirma – in 50 aufgeräumten Wohnzimmern sorgsam inszenierte Familienporträts erstellt, die Kölner Journalistin Inken Herzig hat dazu in Kurztexten Biographien und Wohnkommentare ergänzt. Weitere 70 Familien haben der Ausstellung typische Objekte aus ihrem Hausteil überlassen und den ursprünglichen „Fundzusammenhang“ fotografiert.

Der Architekturfotograf Marc Räder rundet die Ausstellung mit in ihrer partiellen Unschärfe seltsam wirkenden Großfotos ab: In seinen trickreich verdichteten Aufnahmen erscheinen die Reihenhaussiedlungen wie Spielzeugeisenbahnlandschaften.

Auch eine Sofaecke wurde aufgebaut. Auf dem Fernsehschirm davor laufen Interviews mit den Stadtsoziologen Hartmut Häußermann und Werner Sewing. Im Regal dahinter steht das Buch „Schatzkammer Deutschland“, in der Glasvitrine daneben finden sich eine Seemuschel, eine chinesische Figur und ein Sportpokal. Aber nicht nur die allgegenwärtigen kleinen Souvenirs, Trophäen und Kitschobjekte aus den Schrankwänden scheinen Fetischcharakter zu haben: Der eigentliche, unbedingt zu ehrende Fetisch ist die „Heilige Familie“ selbst, das Bild der Familie als eine kleine, aber heile Einheit in ihrem selbstbestimmten Umraum samt Garten. Und gerade dieser Bereich des sozialen Spektrums – die stadtnah wohnende Kleinfamilie – wird heute in all den stadtsoziologischen Untersuchungen, dem Gerede von „Kreativarrealen“ und „Kultur der Metropolen“ kaum beachtet.

Das war in der Reformbewegung der Weimarer Republik ganz anders: Gartenstadt-Konzepte und soziale Reihensiedlungen waren lange Zeit das Ideal gleichermaßen von linker und rechter Politik, die Berliner Siedlungen der 20er Jahre, wie die „Hufeisensiedlung“ von Bruno Taut, sind Weltkulturerbe.

Das zentrale Thema der Ethnologie ist die Frage nach dem Anderen. Wirklich sinnvoll ist die nur in Rückkopplung auf den Fragenden selbst. Wie einem das Fremde merkwürdig vertraut vorkommen kann, kann auch die Kultur von Nebenan seltsam fern erscheinen. Die Volkskunde nennt das „Binnenexotik“.

Egal, ob einem der neugierige Blick in zeitgenössische deutsche Reihenhäuser nun eher peinlich ist oder sympathisch, ob einem diese gar nicht so standardisierte Lebensform eher fremd erscheint oder gar in der eigenen Wohnbiographie vorkommt: Es ist allemal reizvoll, im Rahmen der Ethnologie auf die eigenen Nachbarn zu schauen. HAJO SCHIFF

bis 30. April, Hamburg, Museum für Völkerkunde