Wir lassen uns das Gift richtig was kosten

PESTIZIDE Herkömmliche Lebensmittel sind billiger als Biowaren? Von wegen: Den Preis zahlen wir alle. Denn der deutsche Staat trägt die Kosten für die Begrenzung der Folgen rücksichtsloser Produktion. Anderswo hingegen werden die Verursacher belangt

Was bei Obst und Gemüse einigermaßen funktioniert, hakt bei Futtermitteln

VON OLE SCHULZ

Dass durch Industriefett in Futtermitteln Dioxin in Eier und Fleisch gelangte, hat gerade wieder gezeigt, dass unter den heutigen Bedingungen des „Agrobusiness“ oft schon am Anfang der Nahrungsmittelkette Missbrauch getrieben wird.

Bei pflanzlichen Lebensmitteln ist es kaum anders. Hier ist es etwa der exzessive Einsatz von Pestiziden, der umstritten ist. Dennoch sind es die Verbraucher, die letztlich die Kosten der Kontrolle von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln und Grundwasser tragen, obwohl der Einsatz diese Chemikalien Umwelt und Gesundheit schädigen können.

Laut einer im Dezember veröffentlichten Greenpeace-Untersuchung kosten die Pestizidkontrollen den deutschen Steuerzahler jährlich rund 17 Millionen Euro. Das sei eine „sehr vorsichtige Schätzung“, sagt Manfred Santen, Chemie-Experte von Greenpeace. Der Studie zufolge bezahlen die Verbraucher in doppelter Hinsicht für den Einsatz von Agrar-Giften.

Einmal finanzieren sie bereits mit dem Kauf von Obst und Gemüse die Laborkontrollen der Produzenten und Einzelhändler, welche diese auf den Preis aufschlagen. Ein zweites Mal zahlen die Verbraucher für die Untersuchungen der staatlichen Lebensmittelkontrolleure.

Es sollten aber allein die Hersteller von Pestiziden sein, die für Kontrollmaßnahmen zur Kasse gebeten werden, fordert Greenpeace. „In anderen europäischen Ländern ist es längst üblich, dass die Pestizidindustrie für die Überwachung und Schadensbeseitigung ihrer Produkte aufkommt“, sagt Manfred Santen. „Die Bundesregierung muss die Umlegung der Kosten des Pestizideinsatzes auf den Steuerzahler beenden.“

In Schweden, Dänemark und Norwegen gibt es bereits eine Pestizid-Steuer, in Großbritannien eine entsprechende Abgabe. Allein in Kalifornien werden durch das „Mill Assessment“, eine Steuer auf den Verkauf von zugelassenen Pestiziden, mehr als 60 Millionen US-Dollar im Jahr eingespielt. In Deutschland sei sowohl eine Steuer als auch eine Abgabe denkbar, sagt Santen, für Letztere spreche, dass sie einfacher zu handhaben sei: Schon jetzt sind alle Hersteller verpflichtet, dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) die verkauften Mengen ihrer Pflanzenschutzmittel und darin enthaltenen Wirkstoffe zu melden. Aus diesen Daten könnte mit Hilfe eines Risiko-Index eine solche Abgabe berechnet werden.

Greenpeace untersucht seit 2004 die Pestizidgehalte in Obst und Gemüse. Laut Santen werden die Höchstgehalte für einzelne Pflanzenschutzmittel in Deutschland mittlerweile zwar meistens eingehalten, aber es gebe immer noch „Schlupflöcher“ und zudem einen Trend zu Mehrfachbelastungen mit „Pestizid-Cocktails“, deren Wirkung bisher kaum untersucht sei.

Zuletzt war es im Januar, dass Greenpeace vor Pestizidrückständen in Gemüse warnte: Bei 3 von 30 Proben wurden hohe Rückstände des Wachstumsregulators Ethephon in Gemüsepaprika gefunden. In drei Filialen der Supermarktketten Lidl, Tengelmann und Netto wurde ein Paprika-Mix mit überhöhten Ethephon-Werten verkauft. Dieses Pestizid kann Reizungen auf Haut und Schleimhäuten hervorrufen und in großen Mengen als Nervengift wirken. In einer der drei belasteten Proben wurde jene Dosis überschritten, bei der bereits eine einmalige Aufnahme die Gesundheit schädigen kann.

Dass Lidl parallel zur Greenpeace-Untersuchung den Paprika-Mix zurückgerufen habe, wertet Santen indes als Indiz dafür, dass die „freiwillige Selbstkontrolle“ durch das so genannte „QS-Prüfsystem“ beim Anbau und Handel von Obst und Gemüse einigermaßen gut funktioniere – im Unterschied zur Futtermittelherstellung. Hier müsse die staatliche Kontrolle deutlich verbessert werden, so Santen.

Die Pestizidkontrollen kosten den Steuerzahler jährlich rund 17 Millionen Euro

Doch auch bei der Frage der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln scheint neuer Ärger anzustehen: Nach Informationen des WDR-Politmagazins „Monitor“ hat das Landwirtschaftsministerium einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet, durch den das industriekritische Umweltbundesamt (UBA) entmachtet würde und in Deutschland eigentlich verbotene Pestizide durch die Hintertür wieder auf den Markt kommen könnten.

Landwirtschafts- und Verbraucherministerien Ilse Aigner (CSU) hat zwar anlässlich des Dioxinskandals verkündet, dass „vorsorgender“ Verbraucherschutz „vor allen wirtschaftlichen Interessen stehen“ müsse. Doch sollte der Entwurf ihrer Beamten verabschiedet werden, würde das vor allem der Pestizidindustrie nutzen, zu der Chemie-Riesen wie BASF und Bayer zählen.

Denn während Hersteller, die in Ländern – der sogenannten Mittleren EU-Zone – wie Österreich, Tschechien oder Polen bereits eine Zulassung haben, nun Anspruch auf ein verkürztes Verfahren in Deutschland bekommen sollen, soll dem UBA sein Vetorecht bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln entzogen werden – allein 2010 hat das Umweltbundesamt von 150 Anträgen immerhin 32 abgelehnt. Ein Beispiel ist Chlorpyriphos-Methyl. Das UBA hatte gegen dem beim Weinbau eingesetzten Wirkstoff sein Veto eingelegt, weil es diesen zu den Nervengiften gehörenden Stoff in Boden und Wasser für besonders giftig hält.

In Österreich und Rumänien ist das gefährliche Chlorpyriphos-Methyl allerdings zugelassen – nach dem Aigner-Entwurf könnte es daher bald auch in Deutschland eingesetzt werden.