Partystimmung nach einem Monat ohne Ben Ali

TUNESIEN Die Menschen in Tunis feiern sich und die Revolution. Derweil wächst der Unmut über die schwierige Wirtschaftslage

■ Vier Tage nach der Machtübernahme durch das Militär ist in Ägypten erstmals ein Gremium aus Juristen zur Überarbeitung der Verfassung des Landes zusammengekommen. Die Armee wolle die Macht „möglichst bald“ an eine zivile Regierung zurückgeben, sagte der beteiligte Anwalt und ehemalige Parlamentsabgeordnete der oppositionellen Muslimbruderschaft, Sobhi Saleh, am Dienstag. Er bekräftigte, dass der Oberste Militärrat „Änderungen an der Verfassung“ anstrebe. Die Kommission wird vom ehemaligen Präsidenten des Staatsrats, Raek el Beschri, geleitet, ein moderater Islamist, der in der Bevölkerung breite Anerkennung genießt. Dem Gremium gehört keiner der Juristen an, die von Präsident Husni Mubarak kurz vor seinem Rücktritt mit der Überarbeitung der Verfassung betraut worden waren. Die Mitglieder des Komitees sollen binnen 10 Tagen Verfassungsänderungen ausarbeiten. Damit soll die Voraussetzung für freie Wahlen geschaffen werden. Die nächste gewählte Regierung könne weitere Änderungen vornehmen, sagte Saleh. Vielen Kritikern dürften die Änderungen nicht weit genug gehen, da sie eine ganz neue Verfassung gefordert hatten. Die Muslimbrüder kündigten an, eine Partei zu gründen, sobald die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen seien. (afp, dapd)

AUS TUNIS REINER WANDLER

„Ich kann nicht in Worte fassen, was ich empfinde“, erklärt einer der drei Männer, die sich Schals in den tunesischen Nationalfarben umgehängt haben. Ein kurzer Blickkontakt untereinander und dann geht es hinaus in die Heimat. Dutzende von Angehörigen und Freunde drängen sich in der Ankunftshalle des Flughafens von Tunis. Freudenrufe, Tränen, Umarmungen. „20 Jahre im Exil in Paris, und jetzt endlich zurück“, erklärt der Älteste der drei.

Der 14. Februar ist kein schlechter Tag, um heimzukehren. Auf der Flaniermeile von Tunis, der Avenue Bourguiba, herrscht Feststimmung. Denn es ist genau ein Monat vergangen, seit Präsident Zine El Abidine Ben Ali vor den Protesten der tunesischen Jugend Reißaus nahm. Die Menschen feiern dort, wo noch vor einem Monat die großen Demonstrationen gegen den Diktator stattfanden. Sie feiern ihre Revolution und sich selbst. „Ein herzliches Adieu Ben Ali“, singt eine Clique junger Frauen zur Melodie von Happy Birthday. Es ist das Fest, das vor vier Wochen nicht stattfinden konnte.

Damals herrschte Ausnahmezustand und strikte Ausgangssperre. Scharfschützen und Milizionäre des gestürzten Regimes verbreiteten Angst. Jetzt verteilen Menschen Blumen an die Soldaten, die in jenen Tagen für Sicherheit sorgten und die mit ihren Panzern noch immer vor dem Innenministerium stehen.

Auf der Theatertreppe haben sich hunderte meist junger Menschen versammelt. „Mein Herz schlägt nur für dich Tunesien, mon amour“, steht auf einem Schild. „Wir haben es allen vorgemacht, wie es geht. Schau nach Ägypten, ohne uns wäre das nicht möglich gewesen“, erklärt ein junger Mann. Überall stehen kleinere und größere Gruppen und debattieren über die Zukunft. „Das Wichtigste ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“, meint der 28-jähriger arbeitsloser Agraringenieur Mohammed.

„Der Präsident darf nur wenig Macht haben. Wir brauchen ein starkes Parlament“

MAHDI, STUDENT

Andere zerbrechen sich den Kopf über den künftigen Staatsaufbau. Studenten aus der Technischen Hochschule sind sich einig. „Der Präsident darf nur ganz wenig Macht haben. Wir brauchen ein starkes Parlament“, erklärt der 23-jährige Mahdi. Die derzeitige Entwicklung laufe in die falsche Richtung. „Wir können den Übergang nicht mit ein paar Änderungen an der Verfassung machen. Schau nach Ägypten, da haben sie die Verfassung aufgehoben“, sagt er. Wenn es nach ihm ginge, müsste zuerst eine verfassunggebende Versammlung gewählt werden und nicht ein neuer Präsident, wie es die Übergangsregierung will. „Doch“, sagt der junge Mann, „das Volk ist zu müde, um weiter auf die Straße zu gehen“.

Die Jungs bleiben vor dem Hotel Africa stehen. Das teuerste Haus auf der Avenue Bourguiba ist seit einer Woche zu. „Wir sind im Streik“, haben die Arbeiter auf die Metallwände gesprüht, die seit den großen Demonstrationen die Scheiben des Eingangsbereichs schützen. Andere Parolen berichten von prekären Verträgen und niedrigen Löhnen.

Überall macht sich die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen Luft. Die Müllabfuhr streikt. Tunisair musste am Wochenende Flüge wegen eines Arbeitskampfes stornieren. „Es ist gut, dass alle für ihre Rechte kämpfen“, beschließt die Clique, bevor sie in einer Menge verschwindet. Jalel ist sich da nicht so sicher: „Wir können nicht nur Forderungen stellen. Wir haben Verantwortung für das Land“, erklärt der 52-jährige Französischlehrer, der sich eine Ägyptenfahne über die Schultern gehängt hat. Jalel berichtet von einem Schweigemarsch, der die Menschen aufforderte, eigene soziale Interessen hintanzustellen, solange der Übergang zur Demokratie nicht gefestigt sei. „Sonst bricht die Wirtschaft zusammen“, mahnt er. „Und wir wollen doch nicht, dass die Leute irgendwann sagen, unter Ben Ali war alles besser.“