Eine Stunde Europakunde

Bei einer Diskussion über einen EU-Beitritt der Türkei offenbart sich Skepsis unter Bremer SchülerInnen

Der Applaus der SchülerInnen vom Schulzentrum Utbremen fällt zunächst eher höflich aus, gleichmäßig verteilt auf alle drei EU-Parlamentarier. Erst als CDU-Mann Hans-Peter Mayer ein engagiertes Plädoyer gegen die Aufnahme der Türkei in die EU hält, brandet Beifall auf. Die Mehrheit im Saal teilt offenbar Mayers kritische Haltung gegenüber der Türkei, ebenso wie Karin Jöhns (SPD), die für eine Stunde neben ihm auf dem Podium sitzt an diesem „Projekttag Europa“. Helga Trüpel (Grüne) hat es zunächst schwer, die SchülerInnen davon zu überzeugen, dass es eine solche Mitgliedschaft eine „Riesenchance“ sei – für eine „wahre Demokratisierung“ der Türkei, für das Zusammenleben von Christen, Juden und Muslimen, für Europas wirtschaftliche Stellung gegenüber Indien oder China.

„Die Türkei ist noch keine Demokratie“, sagt Mayer, der Jura-Professor aus Oldenburg, der schon gegen den EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens stimmte. Und auch gegenüber den zehn anderen EU-Mitgliedern aus Osteuropa meldet er Vorbehalte an. Jöhns pflichtet ihm bei. „Wir haben fast nur Armenhäuser aufgenommen“, sagt die SPD-Politikerin – und warnt vor einhergehenden „Renationalisierungstendenzen“ im Europäischen Parlament. Schon jetzt sitzen 784 Parlamentarier in Brüssel und Straßburg zusammen, zählt Jöhns auf, neun Fraktionen, darunter eine „faschistische“ – insgesamt gut 160 Parteien. Raunen im Publikum kommt auf. „Das ist alles sehr, sehr heterogen“, sagt Jöhns. „Wir müssen erst einmal Akzeptanz für die Osterweiterung schaffen.“ Auch in Bremen.

Ob die Türkei nicht erst einmal den Völkermord an den Armeniern anzuerkennen habe, bevor die EU sie aufnehme, will eine Schülerin wissen. Und was denn wäre, wenn die Türkei das islamische Recht, die Scharia, einführen würde, fragt ein anderer. Den Genozid vor und während des ersten Weltkrieges, antwortet Trüpel, den müssten die Türken „selbstverständlich“ anerkennen, dazu die Todesstrafe abschaffen und die „Herabsetzung des Türkentums“ aus ihrem Strafgesetzbuch streichen. „Die Türkei wird nicht EU-Mitglied, wenn sich daran nichts ändert“, sagt Trüpel. Nun erntet auch sie deutlichen Applaus. „Es werden nur demokratische Staaten aufgenommen.“ Da ist er wieder, der Konsens der Europa-PolitikerInnen. Doch ganz zufrieden sind die SchülerInnen damit nicht: Die PolitikerInnen hätten ihre Fragen nicht richtig beantwortet, beklagen sich einige. Aber vielleicht sei das auch gar nicht zu erwarten gewesen. Schon gar nicht, wenn man ihnen nur eine Stunde Zeit gibt.

Jan Zier