Gespaltenes Land

AUS BELGRAD ANDREJ IVANJI

Bei der Demokratischen Partei (DS) herrschte beste Stimmung. Frohlockend stellte sich Staatspräsident und Parteivorsitzender Boris Tadić am Sonntagabend vor die Fernsehkameras. Unter seiner Führung erzielt die bürgerliche, proeuropäische DS einen unerwarteten Wahlerfolg und bricht mit 22,9 Prozent alle Rekorde. Der Rivale für die Führungsposition im sogenannten demokratischen Lager ist eindeutig geschlagen: Die Demokratische Partei Serbiens, DSS von Premier Vojislav Koštunica, die ein national-konservatives Bündnis anführt, schafft gerade 16,7 Prozent.

„Die Regierung muss schleunigst gebildet werden“, so Tadić energisch. Als Staatspräsident werde er das Mandat dem DS-Spitzenkandidaten, Bozidar Djelić, anvertrauen. Sportlich, jugendlich und spaßig vermittelt der Präsident strahlenden Optimismus. Er benehme sich wie ein Fußballer, der gerade den Uefa-Cup gewonnen hat, und nicht wie ein Staatsmann, dem für das Land schicksalhafte Koalitionsverhandlungen bevorstehen, heißt es dagegen bei der DSS. Die im Ausland ausgebildeten DS-Yuppies und Manager in Tausend-Dollar-Anzügen irritieren die bescheiden angezogenen Mitglieder der DSS, die die serbischen Traditionen preisen und bei Volksfesten zu Hause sind. Die Lage sei todernst, Serbien stehe der entscheidende Kampf um das Kosovo bevor, Tadić’ Jubel sei deshalb geschmacklos.

Trotz der bescheidenen Wahlergebnisse kann es sich keiner in der Volkspartei vorstellen, dass Koštunica nicht wieder Ministerpräsident wird. Die Hochstimmung in der DS könnte daher von kurzer Dauer sein. Ohne ein Arrangement mit der DSS ist Tadić machtlos und mit allen anderen potenziellen Koalitionspartnern weit von einer parlamentarischen Mehrheit entfernt.

Sehr zurückhaltend kündigte Koštunica gestern den Beginn von schwierigen Koalitionsverhandlungen an – und tatsächlich werden diese nicht nur von ideologischen Unterschieden, sondern auch von persönlicher Animosität einzelner Parteifunktionäre belastet. Nach wie vor schließt die DSS eine Zusammenarbeit mit der ultranationalistischen, antieuropäischen Serbischen Radikalen Partei, SRS, nicht aus.

Trotz allem meinen die meisten Analytiker, dass sich die DS und DSS unter gewaltigem Druck der EU und USA einigen werden, denn alles andere hätte katastrophale Folgen für Serbien. Das Parlament wird jedenfalls in dreißig Tagen konstituiert werden, wenn danach in neunzig Tagen die Regierung nicht gebildet ist, werden Neuwahlen ausgeschrieben. Man hofft in Serbien, dass eine Entscheidung über den Status des Kosovo bis dahin hinausgezögert wird. Während für Tadić gute Beziehungen zur EU und USA die allerhöchste Priorität haben, würde Koštunica die Änderung bilateraler Beziehungen mit jenen Staaten in Erwägung ziehen, die die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen.

Der Wahlsieg der Radikalen findet angesichts der Verhandlungen zwischen der DS und DSS wenig Beachtung. Mit 28,7 Prozent bestätigte die SRS jedoch ihre Mobilisierungsfähigkeit, eine disziplinierte Armee von über 1,1 Millionen Wählern stimmte für die Partei, deren Spitzenkandidat Vojislav Šešelj der Prozess wegen Kriegsverbrechen vor dem UN-Tribunal gemacht wird. „Habt nur noch ein bisschen Geduld, bald werden wir die absolute Mehrheit erreichen“, wendet sich SRS-Führer Tomislav Nikolić an seine Wähler.

In Serbien, wo mehr als eine Million Bürger unter oder an der Armutsgrenze leben, kam die geschickt von national-sozialistischen Parolen gefärbte, populistische Wahlkampagne der SRS an. Gemeinsam mit den Milošević-Sozialisten (SPS), die es mit 5,9 Prozent ebenfalls ins Parlament schafften, haben sechs Jahre nach der Wende ein Drittel der serbischen Wähler ihr Vertrauen den nationalistischen antieuropäischen Kräften geschenkt.