Branding oder Tod

MUSIKMARKT Im kreativen Berlin kann nur überleben, wer sich willig vernetzt und verlabelt. So lautet das nüchterne Fazit einer Expertenrunde im Pfefferberg

Auf dem Forum wurde so getan, als habe man den Ausweg aus dem Tal der Tränen schon gefunden

Man mag Musik, man kennt Leute, die tolle Musik machen, man beschließt, für diese ein Label zu gründen, und dann schaut man mal, was passiert. Ungefähr das muss es sein, was Olaf Kretschmar von der „Berlin Music Comission“ meint, wenn er vom „Einzelkämpfermodus“ spricht. Der sei voll 90er-Jahre-mäßig. „Einzelkämpfermodus geht nicht mehr. Die Zeiten sind vorbei“, erklärt er. So manche restromantische Vorstellung, die man vom Popbetrieb noch hatte, wurde am Dienstag auf dem von der „Berlin Music Comission“ veranstalteten „Expertenforum“ zum Thema „Kreativwirtschaft International – wie stellt sich die Berliner Musikwirtschaft den Herausforderungen?“ zu Grabe getragen.

Um die Kreativität sei es bestens bestellt in Berlin, so Kretschmar, es mangele jedoch an Management. Unmissverständlich wurde auch gleich klargemacht, dass die Zeiten des Durchwurschtelns in Berlin vorbei seien. Jürgen Schepers von der Industrie- und Handelskammer Berlin sprach dann auch von einem „neuen Wirtschaftszeitalter“– in dem ein Künstler ohne Grundkenntnisse in BWL wohl keine Chance mehr hat. Kultur und kreatives Potenzial seien das einzige, was die weitgehend industriefreie Stadt zu bieten habe: Diese These kennt jeder in Berlin. Deswegen müsse man Kultur unbedingt fördern: Diese Position würde jeder Theaterbetreiber und Szeneclubbesitzer unterstützen. Nun wird diese Kultur ja auch unterstützt, aber nicht um ihrer selbst willen. Kulturschaffende dienen dazu, Berlin als international bekannten Kreativstandort weiter zu etablieren. Um damit vielleicht doch noch die Industrie anzulocken. Diese Strategie wurde auf diesem Expertenforum nochmals verdeutlicht.

Für eine Kritik dieser Sicht von Kultur, der man einmal widerspenstiges Potenzial zugetraut hatte, hin zur Kultur als Wirtschaftsfaktor, war im Pfefferberg freilich kein Platz. Auch Carsten Winter, Professor für Medien und Musikmanagement in Hannover, der sich selbst als „von den Cultural Studies herkommend“ versteht, dem also die Vorstellung subversiver Kultur nicht ganz fremd ist, ließ bei seinem Einführungsreferat die subversiven Ideen der Cultural Studies lieber weg. Zum 360-Grad-Modell, auf das immer mehr Labels setzen, meinte er, es stelle den „Musikschaffen- den“ in den „Mittelpunkt“. In Wahrheit entmündigt dieses Modell den Musiker, der all seine Rechte an das Label abgibt. Was ein Grund dafür ist, dass das Berliner Label Staatsakt beispielsweise das 360-Grad-Modell aus linksromantischen Gründen ablehnt.

Insgesamt wurde auf dem Forum so getan, als hätte man den Masterplan, den Ausweg aus dem Tal der Tränen, in dem sich vor allem Labels und Musiker befinden, schon gefunden. „Vernetzte Netzwerke“ lautete hier das Stichwort, oder um es mit Carsten Winter zu sagen: „networked-music-economy“. Als leuchtendes Beispiel für diese Idee, durch ein besseres Miteinander voranzukommen, wurde die „Berlin Music Week“ herangezogen. Hier wurde von der „Berlin Music Comission“ ein neuer Dachverband gegründet, unter dem bereits etablierte Brands wie die Popkomm oder das Berlin-Festival gebündelt auftreten. Gemeinsame Interessen gemeinsam präsentieren, das ist demnach das Credo für die Berliner Musikwirtschaft. Man spart Kosten und erreicht mit einer zum Spektakel erklärten Veranstaltung wie der „Berlin Music Week“ gemeinsam mehr Aufmerksamkeit als alleine. Auch toll: „Berlin Brands“, eine ebenfalls von der „Berlin Music Comission“ initiierte Kampagne, bei der Berliner Labels durch einen Sticker auf ihren Produkten deutlich machen, dass sie in Berlin ansässig sind. Musiker, Lobbyisten, Politiker, alle sitzen sie in diesem „neuen Wirtschaftszeitalter“, das auch für das bislang ökonomisch so rückständige Berlin angebrochen ist, im selben Boot, erklang es unisono vom Podium des Forums. Wer demnach kein „Berlin Brand“ sein möchte, so wurde klar, der hat in Berlin immer weniger eine Chance. ANDREAS HARTMANN