Die Korrekturen

Der Enron-Skandal zieht ungeahnte Kreise: Weil der eine angeblich beim anderen abgeschrieben hat, streiten sich Netzwerk-Recherche-Chef Thomas Leif und der Korruptions-Spezialist Werner Rügemer

VON HANNAH PILARCZYK

Rufmord oder Präzedenzfall, der ruchlosen Großverlagen Tür und Tor öffnet – kleiner geht es im Streit zwischen Werner Rügemer und Thomas Leif einfach nicht. Aber so ist es eben, wenn zwei große Egos des deutschen Investigativ-Journalismus aufeinandertreffen. Der SWR-Chefreporter Leif hat sich durch zahllose Filme und Bücher zur Verstrickung von Politik, PR und Unternehmensberatungen einen Namen gemacht. Rügemer, der auch für die taz schreibt, ist Experte in Sachen Korruption und Privatisierung öffentlichen Eigentums. Konkret geht es um den Vorwurf, Leif habe in seinem im Frühjahr erschienenen Buch „Beraten und verkauft. McKinsey & Co. – der große Bluff der Unternehmensberater“ von Rügemer abgeschrieben – und ihn vorsätzlich nicht als Quelle angeführt.

Tatsächlich tauchen sechs Passagen aus Rügemers „Der Berater-Staat“ (erschienen am 23. und 25. 10. 2004 in der Jungen Welt) und dem Aufsatz „Der Mythos der ökonomischen Effizienz“ fast wörtlich wieder in Leifs Buch auf. So schreibt Rügemer zur Verstrickung der Unternehmensberatung McKinsey in den Skandal um den US-Energie-Giganten Enron: „McKinsey, seit 1987 ständig für Enron tätig, rühmte sich, bei Enron eine der weitestgehenden Innovationen der modernen Unternehmensgeschichte umgesetzt zu haben: Enron ist ‚eines der innovativsten Unternehmen der Welt, indem es die traditionellen industriellen Strukturen angreift und atomisiert‘, rühmte sich McKinsey noch im Jahr des Enron-Konkurses 2000.“ Bei Leif klingt das so: „McKinsey, seit 1987 ständig für Enron tätig, rühmte sich, bei Enron eine der weitestgehenden Innovationen der modernen Unternehmensgeschichte umgesetzt zu haben: Enron sei ‚eines der innovativsten Unternehmen der Welt, indem es die traditionellen industriellen Strukturen angreift und atomisiert‘.“ An fünf weiteren Stellen von „Beraten und verkauft“ finden sich solche Überarbeitungen von Rügemers Text wieder.

Rügemer selbst wird nach eigenen Angaben im August von Kollegen auf die Dopplungen aufmerksam gemacht. Als er Leif darauf anspricht, reagiert der sofort: In der nächsten Auflage, der 8. des sich blendend verkaufenden Buches, ist in der Einführung nun der Verweis auf die Rügemer-Zitate enthalten sowie der Zusatz, dass es sich um ein „technisches Versehen“ handele. Ab der aktuellen 10. Auflage fehlen die umstrittenen Passagen ganz. Leif zur taz: „Im Laufe von zahlreichen Redigiergängen sind einzelne Quellenangaben aus dem Manuskript im Satz nicht vollständig übernommen worden.“ Zusätzlich bietet er Rügemer das „branchenübliche Abdruckhonorar“ oder alternativ eine Spende an Dritte an.

Vorläufiges Ende – gar nichts gut: Rügemer sieht seine Urheberrechte verletzt und fordert Schadensersatz, rund 6.000 Euro. Allerdings sind die Passagen aus seinen Texten so allgemein, dass sich der Anspruch auf Urheberrechteschutz nur schwer vor Gericht durchsetzen lassen dürfte. Doch Rügemer geht es um mehr: um die Macht des Medienriesen Bertelsmann, zu dem Random House gehört – und den journalistischen Anspruch von Thomas Leif. Denn der setzt sich als Vorsitzender des „Netzwerk Recherche“ (NR) nicht nur für mehr investigativen Journalismus ein, er hat auch entscheidend an der Entwicklung des so genannten NR-„Medienkodex“ mitgewirkt. Nach dessen „journalistischen Leitbild“ sollen Journalisten „handwerklich saubere und ausführliche Recherche aller zur Verfügung stehenden Quellen“ garantieren“, natürlich nach dem Grundsatz „Sicherheit vor Schnelligkeit“.

Dürfen jemandem, der solche Ansprüche an die Arbeit von KollegInnen formuliert, solche Fehler wie im Fall Rügemer passieren? Schon die Frage hält Leif für unbotmäßig: „Beraten und verkauft“ habe er nicht in seiner Funktion als NR-Vorsitzender, sondern als „unabhängiger Autor“ veröffentlicht, so Leif zur taz. Außerdem habe er den Medienkodex nicht allein formuliert. Von der taz lässt sich Leif zur Veröffentlichung des Kodex im Februar 2006 noch gern stellvertretend für alle VerfasserInnen interviewen.

Seitdem hat es aber von verschiedensten Seiten Kritik am Medienkodex gegeben: Der Deutsche Presserat hat ihn als „praxisfern“ bezeichnet, Branchenmagazine haben gegen ihn polemisiert. In dieser Angriffs-Linie scheint Leif nun Rügemers Begehren zu sehen – und als Anmaßung: Im Schriftverkehr mit Rügemers Anwalt verweist Leif darauf, dass Rügemer „angesichts seiner Biografie und Reputation“ nicht daran gelegen sein dürfte, „plötzlich als Kläger gegen Kollegen oder ehemals eigene Verlage und deren kritische Bücher aufzutauchen“.

Tatsächlich hat Rügemer selbst gerade einen Rechtstreit über ein von ihm verfasstes Buch an den Hacken: In „Der Bankier“, seinem „ungebetenen Nachruf auf Alfred Freiherr von Oppenheim“, hat dessen Sohn zahlreiche Schwärzungen durchgesetzt. Die Hauptverhandlung dazu steht noch aus.

Gut möglich, dass bald noch ein zweites Verfahren dazukommt: Am 10. 11. läuft eine von Rügemers Anwalt gesetzte Frist aus, bis zu der Leif und Random House den geforderten Schadensersatz bezahlen sollen. Danach droht Rügemer mit einer Klage wegen Verletzung des Urheberrechts.