Einmal quer durch das größte Reservoir für Trinkwasser

VERKEHR Der geplante Nicaragua-Kanal soll Pazifik und Atlantik verbinden. Doch Bau und Betrieb der Wasserstraße bedrohen nicht nur die Existenz der weltgrößten Jaguarpopulation. Sie gefährden auch den größten See Zentralamerikas und wertvolles kulturelles Erbe

„Der Kanal ist eine Katastrophe für die Umwelt. Nicaragua braucht ihn nicht“

Arturo Castro-Frenzel

BERLIN taz | Die Streckenführung für den umstrittenen Nicaragua-Kanal steht fest. Die Wasserstraße soll von der Flussmündung des Río Punta Gorda an der Karibikküste durch den Nicaragua-See im Landesinneren bis zur Mündung des Río Brito auf der Pazifikseite führen. Das hat das Hongkonger Konsortium HKND nun bekannt gegeben, das den Kanal bauen soll. Das bedeutet: Die 278 Kilometer lange Wasserstraße zwischen dem Atlantik und dem Pazifik verläuft genau dort, wo Umweltschützer sie am wenigsten sehen wollen: mitten durch den Cocibolca-See.

Dieser See, der auch Nicaragua-See genannt wird, ist nicht nur das größte Süßwasserreservoir Zentralamerikas. In seiner Mitte liegt auch die Insel Ometepe, die seit 2010 Unesco-Weltnaturerbe ist. HKND-Chef Wang Jin sagte, die gewählte Strecke sei die umweltverträglichste der sechs geprüften Routen. Umweltschützer bezweifeln das.

Mit dem gigantischen Verkehrsprojekt will Nicaragua dem Panamakanal Konkurrenz machen, der jährlich rund 1 Milliarde US-Dollar einbringt und derzeit erweitert wird. Die Regierung von Daniel Ortega hat dem ärmsten Land Zentralamerikas versprochen, dass für den Bau 200.000 Arbeiter gebraucht werden. Und parallel zur Wasserpassage sollen auch eine Straße, eine Eisenbahnlinie und eine Ölpipeline entstehen. Auch ein internationaler Flughafen und zwei Tiefseehäfen samt Freihandelszone sind geplant. Baubeginn des umgerechnet 30 Milliarden Euro teuren Projekts soll bereits im Dezember sein.

Für Umweltschützer und Entwicklungsorganisationen sind jedoch viele Fragen offengeblieben. Denn für den Kanal würde eine Fläche zerstört werden, die fast fünfmal so groß ist wie Berlin und aus Regenwald und Feuchtgebieten besteht, sagt der Nicaragua-Experte und Biologieprofessor der Uni Konstanz, Axel Meyer. Er kritisiert die riesige, bis zu 520 Meter breite Schneise durch die Ökosysteme Zentralamerikas, die beispielsweise den Lebensraum einer der letzten größeren Jaguarpopulationen der Welt zerteilt. Auch verschiedene Papageien- und Affenarten seien durch die Baupläne bedroht. Indigene Völker, die auf dem Gebiet wohnen, verlören durch den Bau ihr Siedlungsgebiet. Eine Klage, mit der sie versuchten, ihr Landrecht zu wahren, hatte der oberste Gerichtshofs Nicaraguas jedoch bereits im vergangenen Jahr abgelehnt.

Den gigantischsten Eingriff dürften die Bauarbeiten aber für den Cocibolca-See bedeuten, der so groß ist wie halb Thüringen und 15-mal so groß wie der Bodensee. Im Schnitt ist das Gewässer nämlich nur 15 Meter tief, für die großen Schiffe soll der gesamte Kanal aber eine Wassertiefe von 28 Metern haben. Die Fahrrinne müsste also ausgebaggert werden. Außerdem soll der See als Wasserspeicher für die Schleusen genutzt werden, erklärt Experte Meyer. So könne es zu Versalzungen und Versandungen kommen. Momentan versorgt der See die umliegenden Städte Granada, Rivas und San Carlos mit Trinkwasser. Wird er Teil des Kanalsystem, ist diese Funktion zumindest in Gefahr.

Zusätzlich befürchten viele Kritiker, dass die vielen Erdbeben in der Region das Projekt unkalkulierbar machen – nicht nur für die Bauherren und Betreiber. Denn die Erdstöße könnten Schleusen zerstören und damit auch das Flutrisiko erhöhen.

Der nicaraguanische Umweltaktivist Arturo Castro-Frenzel hält den Kanal für eine „Katastrophe für die Umwelt“. Für ihn ist klar: „Nicaragua braucht den Kanal nicht.“ Wie andere Kritiker sähe er viel lieber eine gut ausgebaute Eisenbahntrasse.

Er weist darauf hin, dass das Projekt auch kulturelle Spuren hinterlassen könnte: „Völkerwanderungen zwischen Nord- und Südamerika haben hier stattgefunden und vieles Unentdeckte hinterlassen“, sagt er. „Nach den jetzigen Verträgen würden alle Fundstücke dem chinesischen Betreiber gehören, wir Nicaraguaner hätten nichts davon.“

Das kulturelle Erbe ist auch für Anette Zacharias ein Thema, die sich für die lokale Entwicklungshilfeorganisation „Von Küste zu Küste – Solidarität mit der Atlantikküste Nicaraguas“ engagiert. Allerdings denkt sie dabei vor allem an die prähistorischen Felsbilder und Statuen auf der Insel Ometepe. „Der Irrsinn wird jetzt höchstwahrscheinlich durchgepeitscht“, sagt sie. Ihre Befürchtung: dass die Unesco der Insel den Status wieder aberkennt, wenn der Kanalbau beginnt. Entsprechend rabiat könnten die Bauherren dann mit dem Eiland umgehen. RAPHAEL ZELTER