AUCH DIE KRITIKER DER GRÜNEN EKIN DELIGÖZ HABEN MEINUNGSFREIHEIT
: Wut als Zeichen der Integration

Wenn Gewalt ins Spiel kommt, ist die Meinungsfreiheit bedroht. Es ist deshalb zu begrüßen, dass sich die muslimischen Verbände bei einem Treffen mit grünen Politikern klar für die Meinungsfreiheit der Abgeordneten Ekin Deligöz ausgesprochen haben, obwohl sie ihre Auffassung nicht teilen. Die Grüne hatte muslimische Frauen aufgefordert, ihr Kopftuch abzulegen, und wird dafür nun mit dem Tode bedroht. Dass fundamentalistische Morddrohungen ernst zu nehmen sind, zeigte der Mord an dem islamkritischen niederländischen Filmemacher Theo van Gogh.

Die Meinungsfreiheit ist aber auch bedroht, wenn in den Medien nun jeder, der Ekin Deligöz kritisiert, in einem Atemzug mit den Morddrohungen genannt wird. Solidarität mit einer bedrohten Politikerin muss nicht bedeuten, ihre Position zu übernehmen. Auch die Kritikerinnen von Ekin Deligöz haben das Recht, sich frei zu äußern. Die Öffentlichkeit sollte nicht den Eindruck erwecken, dass vereinzelte Mordaufrufe mehr wahrgenommen werden als hunderte wütende, aber diskursive Meinungsäußerungen.

Schon das Treffen der Grünen mit den muslimischen Verbänden hatte einen seltsamen Beigeschmack. Es diente ja offensichtlich dazu, den muslimischen Verbänden eine Gelegenheit zu geben, sich von den Mordaufrufen zu distanzieren. Damit wurden sie aber in die Nähe der Mordaufrufe gerückt, nur weil sie die Position von Deligöz ablehnen. Es käme doch auch niemand auf die Idee, CDU-Politiker oder katholische Bischöfe zum Gespräch zu bitten, wenn christliche Fundamentalisten einen Abtreibungsarzt mit dem Tod bedrohen.

Deligöz hat muslimische Frauen zum Ablegen des Kopftuches aufgefordert, weil dieses ein politische Symbol für Frauenunterdrückung sei. Wer dieser Position entgegenhält, dass das Kopftuch für die meisten Trägerinnen lediglich ein religiöses Kleidungsstück sei, beruft sich auf die im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit und bewegt sich damit eindeutig innerhalb unserer Verfassungsordnung. Manche diskursive Kritik an Deligöz könnte deshalb durchaus als Zeichen der Integrationsbereitschaft und der Akzeptanz westlicher Werte betrachtet werden. CHRISTIAN RATH