Ein Angebot, das keins war?

In Geheimakten gibt es Hinweise darauf, dass die USA Kurnaz nicht freilassen wollten

BERLIN taz ■ Die eindeutige Festlegung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, er kenne kein Angebot der Amerikaner, Murat Kurnaz aus Guantánamo freizulassen, hat einen Tag später die Interpretatoren auf den Plan gerufen. „Ich kenne kein solches Angebot“, hatte Steinmeier am Dienstag wörtlich gesagt. Bedeutet die Aussage, dass es im Herbst 2002 kein Angebot der US-Seite zur Freilassung von Kurnaz gab? Dass es kein offizielles Angebot gab? Dass es ein Angebot gegeben haben könnte, Steinmeier als damaliger Kanzleramtsminister aber nichts davon wusste?

Der Außenminister wird zu diesen Fragen nur im BND-Untersuchungsausschuss Stellung nehmen. Das hat sein Sprecher Martin Jäger gestern betont. Zugleich legte Jäger Wert auf die Klarstellung, dass Steinmeier mit seinem Satz meinte, es habe kein „offizielles Angebot“ der US-Amerikaner gegeben: „Ein Angebot im Wortsinn setzt voraus, dass diejenigen, die es vortragen, auch einlösen können.“

Das ist ein versteckter Hinweis auf die These, die Steinmeiers Umfeld und viele Sozialdemokraten in diesen Tagen streuen: Es habe im Herbst 2002 im CIA-Apparat Überlegungen gegeben, Kurnaz, von dessen Unschuld man offenbar überzeugt war, aus Guantánamo freizulassen. Ein offizielles Angebot des zuständigen US-Verteidigungsministeriums sei daraus jedoch nie geworden. Denn in Rumsfelds Ministerium sei man von Kurnaz’ Unschuld alles andere als überzeugt gewesen und wollte ihn deshalb auch nicht freilassen.

In dem vertraulichen Bericht, den die Bundesregierung im Februar 2006 für das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) anfertigte, gibt es in der Tat einige Hinweise, die diese These stützen. In der Chronologie des Kurnaz-Falles heißt es in dem Papier, das der taz vorliegt, unter dem Eintrag 13. 2. 2003: „FBI teilt BKA auf dessen Anfrage vom 18. 12. 2002 mit: Nach Auskunft der zuständigen US-Behörde sei nicht geplant, M. K. freizulassen.“ Neun Monate später spricht Außenminister Joschka Fischer in Washington mit seinem Amtskollegen Colin Powell über Kurnaz. In dem vertraulichen Regierungsbericht heißt es dazu unter dem Eintrag 19. 11. 2003: „BM Fischer hat bei AM Powell den Fall M. K. angesprochen; Hinweis der Botschaft, dass Zuständigkeit Guantánamo beim Pentagon liegt; keine Änderung der US-Haltung.“

Die Position der US-Regierung gegenüber Guantánamo im Allgemeinen und Kurnaz im Speziellen wird mit Sicherheit nicht einheitlich gewesen sein. Außenministerium, Pentagon und CIA haben sich zum Teil erbittert bekämpft. Bestimmte Positionen werden sich auch mit der Zeit verändert haben. Was im Herbst 2002 möglich gewesen sein kann, war ein paar Monate später vielleicht schon wieder undenkbar. Genau das jedoch lässt starke Zweifel an der These aus Steinmeiers Umfeld zu.

In geheimen Unterlagen der Regierung finden sich zahlreiche Hinweise darauf, dass es im Herbst 2002 ein US-Angebot zur Freilassung von Kurnaz gegeben hat. Die Süddeutsche Zeitung berichtete gestern über ein Schreiben eines BND-Mitarbeiters aus der deutschen Botschaft in Washington am 26. September 2002 an die BND-Zentrale in Pullach. „USA sehen die Unschuld von Kurnaz als erwiesen an“, heißt es darin. „Er soll in etwa sechs bis acht Wochen entlassen werden. Die deutschen Behörden werden vorab informiert, so dass seine Freilassung als von deutscher Seite erwirkt dargestellt werden kann.“ JENS KÖNIG