: „Machen Sie es nicht so romantisch“
BEWEGUNG Jutta Ditfurth rechnet in ihrem neuen Buch mit den Grünen ab – der „FDP mit Fahrrad“
■ Leben: Geboren am 29. September 1951 als Jutta Gerta Armgard von Ditfurth. Die Sozialwissenschaftlerin, Publizistin und Politikerin der Ökologische Linken ist Mitbegründerin der Partei Die Grünen und war von 1984 bis 1989 deren Bundesvorstandssprecherin. 1991 verließ sie die Partei.
■ Veröffentlichung: Ihr neues Buch „Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun. Die Grünen“ erscheint nächste Woche im Rotbuch Verlag (228 Seiten, 14,95 Euro). Die Buchvorstellung ist am 20. Februar um 18 Uhr im Hebbel-Theater (HAU 1), Stresemannstr. 29, 10963 Berlin-Kreuzberg.
INTERVIEW MARTIN REICHERT
Deutschland ist nicht schön an diesem regennassen Februarnachmittag. Auch der Frankfurter Stadtteil Nordend wirkt recht trostlos – doch dann kommt Jutta Ditfurth angeschlendert, iPod-Stöpsel im Ohr, weiße Turnschuhe. Die junge Bedienung im Kulturcafé Odyssee kräht fröhlich: „Da kommt die Frau Ditfurth!“
taz: Frau Ditfurth, wie geht es Ihnen?
Jutta Ditfurth: Ich bin stinkesauer, die Häuser hier werden aufgekauft und in Luxuswohnungen umgewandelt – seit Jahren. Eben habe ich von zwei weiteren erfahren. Wir sind umzingelt.
Und, bleiben Sie hier wohnen?
Wir haben drei Jahre Mieterkampf hinter uns, wir konnten unsere Wohnungen am Ende relativ günstig erwerben. Insofern lassen wir uns hier nicht vertreiben. Aber ich sehe, wie viele meiner Nachbarn vertrieben werden, und ich lasse mich auch nicht gern einkesseln von lauter Porsche- und Maserati-Fahrern.
Vor der Tür steht ein Jaguar, ja.
Das ist hier gehobene grüne Mittelschicht. Es gibt noch viele Leute, die grün wählen – das ist eine zum Teil sehr aggressive Mittelschicht, die du hier sonntags am Spielplatz beobachten kannst. Die kaufen alte Mietshäuser auf, vertreten knallhart ihre Interessen, sind aber ach so urban und grün und wählen Claudia Roth …
Die Grünen sind Volkspartei.
Das ist keine Volkspartei, das ist eine Klientelpartei. Die Grünen sind die Nachfolger der FDP.
Eine FDP mit Fahrrad, sagen Sie.
Das habe ich mal so als Label fürs Fernsehen formuliert. Analytisch kann man das dort ja kaum ausarbeiten.
In Ihrem Buch schreiben Sie präzise: „Die Grünen sind ein Motor des neokonservativen Rollbacks.“
Wenn ich noch zwanzig Jahre lebe, möchte ich ein Buch schreiben über diese konterrevolutionäre Kurve, die jetzt ihren Abschluss findet. Mit Rot-Grün fing das an: Alte, früher radikale Linke befürworten einen Krieg. Das war ein Bogen von 1968 bis 1998. Mit dem Wegfall der Sowjetunion fehlte die Reibung, die uns den Sozialstaat gebracht hat. Jetzt schlägt der Kapitalismus gleichsam konkurrenzlos zu – und die grüne Regierungspartei haute mit der Axt gegen den Sozialstaat.
Was ist dann die linke Zukunft – eine erneuerte SPD?
Wie soll das gehen, bei dem Personal? Das ist nicht so, dass der Schröder jetzt bei Gazprom ist und weg, und alle Sozis können wieder sozial sein. Die SPD hat mit SED-Mehrheiten für die Agenda 2010 gestimmt! Vergiss es.
Dann die Linkspartei?
Tja, aus der PDS ist auch nichts Linkes geworden. Entweder die Linkspartei stirbt demnächst oder sie vereinigt sich wieder mit der Sozialdemokratie. Aber wenn es nichts zu wählen gibt, muss man sich auch nicht dazu zwingen.
Was ist denn die Alternative?
Ich bevorzuge das Modell Tahrir-Platz: Da weigern sich Leute, einen Führer zu benennen. In dem Moment, in dem du eine zentralistische Struktur bildest, machst du ein Integrationsangebot, das dir am Ende das Genick brechen kann. Es geht aber darum, Formen zu organisieren, die sich von unten stabilisieren und Paroli bieten können.
Und wie geht das?
Du suchst dir Leute, die fortschrittlich und menschenfreundlich denken, mit denen schließt du Bündnisse. Marx hat ja auch geschrieben: Kommunismus ist radikal verwirklichter Humanismus.
Darf man „Kommunismus“ noch sagen?
Ja sicher. Ich habe vor Jahren einen Text über „Kommunismus und Natur“ geschrieben, soziale und ökologische Frage abgeleitet von Marx. Hat sich auch niemand drüber aufgeregt. Die Debatte um Gesine Lötzsch fand ich langweilig. Ich hätte mir gewünscht, dass die Vorlage ein wenig klüger gewesen wäre. Das war doch ein sozialdemokratischer Text.
Humanistisch – das war die grüne Bewegung doch auch?
Die Grünen in den Achtzigern waren ein Bündnis aus sehr verschiedenen Gruppen, von links bis konservativ, das für ein paar Jahre dann links wurde. Ich erinnere mich an den konservativen Wolf-Dieter Hasenclever. Da standen wir vor einer niedrigen Absperrung, und ich sagte: Na, willst du da nicht mal rübergehen? Und da antwortete er: Das habe ich noch nie gemacht.
Heute schreiben Sie, die Grünen sind konservativ. Also eigentlich: Alles auf Anfang?
Die Bundespartei war schnell mehrheitlich links. In den Wochen vor der Gründung 1980 hatten sich die Linken aus den Bewegungen entschlossen, bei der Parteigründung mitzumachen, da hatten wir ruckzuck die Mehrheit in der Partei und haben auch die Wertkonservativen und die Christlichen mitgezogen. Es gab Ökofaschisten, aber die hatten wir nach einem halben Jahr raus, indem wir uns klar antikapitalistisch positioniert haben. Aber Ende der Achtziger nervten schon Typen wie Kuhn und Kretschmann, die mit der CDU koalieren wollten.
Schwarz-Grün, die Bewahrung der Schöpfung …
Machen Sie es nicht so romantisch. Da geht es um ordnungspolitische Vorstellungen. Daher musste ja auch der Widerstand gegen Stuttgart 21 berechenbar sein. Als es zu wild wurde, musste ein Schlichterverfahren ran, um der Bewegung den Hals zu brechen. Darin sind die Grünen Meister. Früher war Winfried Kretschmann im Kommunistischen Bund Westdeutschland, heute ist er Katholenfunktionär – einmal K-Gruppe, immer K-Gruppe.
Ordnungsvorstellungen?
Dieses autoritäre Spießertum, die Angst vor unberechenbaren Prozessen: Da spiegelt sich die Angst des Bourgeois vor dem Verlust des Eigentums. Diese Sucht nach Reputation von Leuten wie Kuhn, Palmer und Özdemir! Özdemir ist ’ne besondere Knallcharge. Mal ist er für Stuttgart 21 plus, dann dagegen, dann fliegt er mit dem Hubschrauber zur Demo nach Stuttgart.
Sie sind ja sozusagen rechtzeitig ausgetreten, noch vor den Hubschrauberflügen. Aber dafür haben Sie jetzt keine Macht.
Als ich 1991 ausgetreten bin, haben mich Leute gefragt: Und jetzt? Da draußen sind doch gar keine Bewegungen mehr. Aber die haben ihre eigene Biografie mit der Geschichte verwechselt. Es ist immer Bewegung, solange es Grundwidersprüche gibt. Die Frage ist: Welche Qualität hat sie und bekommt sie ein objektives Zeitfenster, wie während der Modernisierungsphase 1968, in der sie relevant werden können als Kulturrevolte. Wie in Ägypten – aber das ist dort auch keine echte Revolution.
Nicht?
Das ist eine demokratische Revolte mit sozialen und kulturellen Sprengseln, der Zeitpunkt für eine Revolution ist verpasst. Das kann ganz fürchterlich werden, wenn das System wieder intakt ist, die jungen Leute werden das dann, unbeachtet von der Öffentlichkeit, zu spüren bekommen. Das deutsche Fernsehen stellte beruhigt fest, dass wieder „Ordnung“ herrscht in Ägypten, und zeigte allen Ernstes einen Verkehrspolizisten und einen funktionierenden Geldautomaten. Das ist deutsch.
Aber ist Deutschland nicht im Vergleich ein Hort der Freiheit und der Moderne?
Ich finde dieses Land rückständig und reaktionär. Aber der Zustand ist bunt maskiert. Die äußerlichen Freiheiten – Konsum, ein paar sexuelle Freiheiten –, die hast du, aber die Grundfreiheiten hast du nicht. Du darfst nicht ernsthaft systemkritisch sein. Politisch arbeite ich eher mit Jüngeren. Die wollen sich organisieren. Dann kommt die Polizei oder eine autonome Lesereihe wird verboten – da schlägt das System zu. Aber das ist insgesamt viel raffinierter geworden, jedes soziale Milieu kriegt seine eigene Repressionsmethode. 1968 ist nicht wiederholbar, man muss da nach vorne gucken.
Dann versuchen Sie doch mal ein Brücke zu bauen für junge Menschen, die sich empören und etwas verändern wollen.
Wär schön, wenn sie sagen: Ich will keinen Staat, ich will nicht regiert werden. Ich will nicht, dass das Kapital für den Profit meine Kreativität, meine sozialen Fähigkeiten aus mir saugt. Vor allen wirklich interessanten Diskussionen liegt die Frage: Wer will ich sein und welche Gesellschaft will ich? Ich habe die Sehnsucht, in einem Land zu leben, in dem die Menschen sozial gleich sind. Absolut gleiche Möglichkeiten haben, sich zu entfalten.
Junge Menschen sind idealistisch, wo fängt eigentlich aus Ihrer Sicht die Korruption an? Erst beim Hubschrauber oder schon bei der Festanstellung?
Im Scherz sage ich manchmal zu Jüngeren: Ob ich dir traue, weiß ich, wenn du deinen ersten Job hast und dann noch so radikal bist wie heute. Aber ihre soziale Situation ist heute anders. Wir konnten so lange studieren, wie wir wollten, und haben dann auch einen Job bekommen, das war klar. Es ist auch Glück: Bekommt man Außenanregungen?
Was waren denn Ihre?
Eine Gesellschaft mit Nazis im besten Alter und voller Tabus. Ich war in einer elitären Mädchenschule, da erklärte uns die Biologielehrerin, dass Frauen kleinere Hirne haben und deshalb geringere intellektuelle Fähigkeiten. Und dann die Botschaft: Wenn du heiratest, darf dein Mann bestimmen, was du machst. Ich stolperte als 16-Jährige über die 68er. Das war wie ein Blitz. Durch Zufall begegnete ich Menschen, die anders dachten und sich endlich für die gleichen Fragen interessierten. Oft hapert es schon daran, sich von den konservativen Mittelschichtseltern innerlich zu emanzipieren.
Ihre Eltern entstammten dem Adel, waren hochgebildet.
Ich hätte ja gern kleinbürgerliche Eltern gehabt. Die, dachte ich, hat man dann mit dreizehn hinter sich. Das ist natürlich Unsinn, es ist so oder so schwer. Es ist gar nicht so einfach, sich aus gebildeten konservativen Verhältnissen zu befreien. Man braucht ein gewisses Maß an Härte, anders kommst du aus dieser ja auch gut gemeinten Repression nicht raus. Mein Vater hat mir zwar erklärt, dass das mit den zu kleinen Frauenhirnen Schwachsinn ist, aber er war auch zeitweilig der Meinung, dass „Schwarze“ weniger intelligent sind als „Weiße“. Man muss diese Konflikte ohne Rücksicht führen, sonst wirst du nie frei.
Und darf man seine Eltern danach wieder lieb haben?
Danach ist man erst mal auf Augenhöhe. Was die Beziehung taugt, siehst du erst dann. Ich kenne viele Kinder aus der Oberschicht, die bis ins Alter infantil blieben und sich abstrampelten, um endlich von ihren Alten anerkannt zu werden. Bei den Jüngeren funktioniert es auch nicht, wenn sie einerseits scheinbar widerwillig zu Hause Weihnachten feiern und dann bei ’ner Demo die Hasskappe runterziehen und furchtbar radikal sind. Aus so ungelöster Emanzipation und so getrennten Welten kann man keine Kraft schöpfen.
■ Ist streitsüchtig: Kann gut zuhören, lässt sich auf Gespräche ein und ist freundlich. ■ Ist gewaltbereit: Nimmt einen zum Abschied an der Straßenbahn herzlich in den Arm ■ Ist asketisch: Trinkt gern auch mal einen Rotwein und isst gern Kuchen. ■ Ist altlinks: Ist ständig von jungen Leuten umgeben, hört gerne „Rock, Jazz. Grunge, bestimmte Formen von Hiphop, Elektro“ und geht tanzen. „Auch wenn die Knochen knirschen, das macht nix.“ ■ Ist verkracht: Ist erfolgreiche Sachbuchautorin („Ulrike Meinhof. Die Biografie“) und Schriftstellerin („Die Himmelstürmerin“).
Ist das Psychoanalyse?
Nein, politische Erfahrung.
Nach außen wirken Sie sehr unangreifbar.
Ich wäre ja schön blöd, auch noch zu zeigen, wo meine verletzbaren Stellen sind. Die Auseinandersetzungen seinerzeit mit den Grünen, das ging bis ins Privatleben, aber auch ins Berufsleben. Da bin ich vorsichtig geworden.
Frauen sollen eher gefällig sein.
Geh als Frau einen Tag durch die Welt und lächle nicht – das ist ein feministisches Experiment, ich habe das mal als junge Frau probiert. Faszinierend. Man kriegt unglaubliche Reaktionen, offene Aggression von manchen Männern. Viel später, nach der Zeit bei den Grünen, gab es diesen politischen Rufmord. Ich begegne heute noch den Zerrbildern, die meine Gegner in Politik und Medien sehr erfolgreich von mir konstruiert haben. Kluge Leute durchschauen das. Du musst einfach wissen, was passiert, wenn du dich mit bestimmten Leuten in diesem Land anlegst.
Klingt nicht ermutigend für die Jugend.
Das ist politisch zu nehmen, nicht persönlich. Heute ist interessant: Gehe ich nach Gorleben schottern, obwohl das ein Risiko ist? Wenn sie ja sagen, dann ist das interessant. Es wird dir immer erzählt, du kannst nur was erreichen, wenn du in der Mehrheit bist. Aber wir waren damals eine Minderheit – und hatten reale Erfolge. Bei der Anti-AKW-Bewegung waren höchstens 1.000 Leute im Organisationskern. Schauen Sie sich die Wirkung an! Das war Hefe, und die ist aufgegangen. Diese Erfahrung ist dir nicht mehr wegzunehmen. Man muss sie aber in einen geschichtlichen Rahmen einordnen und von seiner Biografie abstrahieren. Sonst passiert dir das, was vielen Linken passiert ist: Die sagen jetzt im Alter, nach mir kommt nichts mehr.
Joschka Fischer behauptete nach seinem Abgang als Außenminister, er sei der letzte Rock ’n’ Roller.
Der sitzt jetzt missmutig in seiner Villa und hört klassische Musik. Was für ein Schicksal. Aus dem Mann hätte wirklich etwas werden können.
■ Martin Reichert, 37, ist sonntaz-Redakteur und weiß auch nicht mehr, was er wählen soll