Masterplan für die Natur

Die Umweltverbände haben ein Entwicklungskonzept für Wilhelmsburg erarbeitet. Sie wollen die Naturschönheiten des Stadtteils vor den Planern der IBA, IGS und Handelskammer retten

von Gernot Knödler

Auf Wilhelmsburg richten sich große Hoffnungen: Hier will der Senat zeigen, wie das Leben in einer Metropole des 21. Jahrhunderts aussehen könnte. Tausende Zuzügler sollen im Grünen am Wasser wohnen und neue Gewerbegebiete den Hunger der boomenden Logistikbranche befriedigen. Dabei könnte auf der Strecke bleiben, was den Charme der Elbinsel ausmacht, befürchten Vertreter des Naturschutzes: deren vielfältige Natur. Die sieben wichtigsten Verbände haben ein Konzept erarbeitet, wie mit diesem Pfund zu wuchern wäre, statt es zu verschleudern.

Die Naturschützer sahen sich genötigt, einen Gegenentwurf zu liefern: zur alltäglichen Naturzerstörung auf der Elbinsel und zu den Ideen und Programmen, die im Zuge der Stadtentwicklungsdiskussion in den Ring geworfen wurden. Ihr Masterplan beschreibt die vielen verschiedenen Arten von Natur im Stadtteil, deren Vorzüge und Entwicklungsmöglichkeiten. Er zeigt, wo die Sturmmöven brüten (zwischen den Öltanks auf der hohen Schaar) und wo der Schierlings-Wasserfenchel gedeiht (im Naturschutzgebiet Heuckenlock).

Bei den anstehenden großen Plänen könnten manche dieser Naturschönheiten auf der Strecke bleiben. Der Senat hat die Losung vom Sprung über die Elbe ausgegeben und dafür die werbewirksamen Vehikel Internationale Bauausstellung (IBA) und Internationale Gartenschau (IGS) 2013 gefunden. Eine bereits gegründete IBA-Gesellschaft und eine noch zu gründende IGS-Gesellschaft sollen Vorschläge für die Umgestaltung des Stadtteils machen. Ein neuer See mitten im Stadtteil, ein Logistikzentrum auf Grünland in Obergeorgswerder und eine Einfamilienhaussiedlung auf Feuchtwiesen gehören zu den Vorschlägen, die sich die städtischen Stadtplaner vorab ausgedacht haben.

Zeitig gemeldet hat sich auch die Handelskammer: Ihr schwebt vor, auf den Wiesen westlich der Autobahn Wohnsiedlungen zu bauen und diese mit einem Riegel von Lagerhallen längs der Autobahn vor dem Verkehrslärm zu schützen. Auf die Feuchtwiesen östlich der Autobahn würde sie die Kleingärtner umsiedeln, deren Scholle mitten im Stadtteil ebenfalls bebaut werden soll. Auf diese Weise ließe sich die Einwohnerschaft Wilhelmsburgs glatt verdoppeln, errechnete die Kammer – eine Vorstellung, die Naturschützern und vielen engagierten Wilhelmsburgern die Haare zur Berge stehen lässt.

Eine aktuelle Version vom Naturschutz-GAU sieht für den BUND-Landesvorsitzenden Harald Köpke so aus: Der Senat lässt die Wiesen nördlich der Hochhaussiedlung Kirchdorf-Süd bebauen und legt auf der anderen Seite der Autobahn eine Doppelrennbahn an. Nach Ansicht des BUND würden damit die bedeutendsten Feuchtwiesen des Stadtteils zerstört, dazu Erlenbruchwald und weitere geschützte Biotope. Viele seltene Vögel, die hier ihre Nahrung suchen, müssten hungern. Fröschen und Molchen würde knapper Lebensraum genommen. Auch seltenen Pflanzen, die für solche Lebensräume typisch sind, ginge es an den Kragen. Für den Großen Klappertopf hat Loki Schmidt, Namensgeberin einer Stiftung zum Schutze gefährdeter Pflanzen, schon auf den Wilhelmsburger Wiesen posiert.

Was Wilhlemsburg und die Stadt gewännen, steht für Schmidt und ihre Mitstreiter in keinem Verhältnis zum Verlust: Das wäre eine Wohnsiedlung, bei der im besten Fall experimentiert würde, wie sich Häuser besonders verträglich in so ein Feuchtgebiet einschleifen ließen. Ergebnis: offen. Dazu käme ein Rennbahn statt der beiden Parcours in Bahrenfeld und Horn, deren bisherige Grundstücke für andere Projekte frei würden. Für die Doppelrennbahn gebe es noch nicht einmal Pläne, sagt Alexander Luckow, der Sprecher der Behörde für Sport. Es sei bloß ein Gutachten angefertigt worden, das zurzeit verfeinert werde.

Aus Sicht des BUND stehen diese Ideen beispielhaft für eine Ad-hoc-Planung, die sich um großräumige Entwürfe wie das Artenschutzprogramm ebensowenig kümmert wie um die Wünsche der Wilhelmsburger. „Es hat 25 Jahre Bürgerbeteiligung gegeben und nun knallen sie einem so ein Papier auf den Tisch“, schimpft Köpke.