Lern’ nicht mit den Hauptschülern

Ein breites „Aktionsbündnis“ will das dreigliedrige Schulsystem in Schleswig-Holstein bewahren und das soeben beschlossene Schulgesetz kippen – Expertenmeinungen zum Trotz und mit Argumenten von vorgestern

Kein gutes Haar lässt Ulrich Kliegis am neuen Schulgesetz. „Höchstens eine gute Haarwurzel“ will der Vorsitzende des Elternvereins Schleswig-Holstein daran entdeckt haben: „die Wiedereinführung von Klassen in der Oberstufe“. Kliegis, Vater von zwei Gymnasiasten, ist Sprecher eines „Aktionsbündnisses für das bessere Schulgesetz“, das eine Volksinitiative starten will, um das soeben vom Landtag beschlossene Gesetz zu kippen. Dem Bündnis gehören der Verband der Realschullehrer, der Philologenverband und die Vertretung der Realschüler an. Auch die Frauenunion steht im Impressum – deren Vorsitzende Karin Wiedemann distanzierte sich allerdings eilig von der Gruppe. Denn immerhin stimmte am Mittwoch die CDU-Fraktion für das Gesetz.

Obwohl die Mitglieder des „Aktionsbündnisses“ unterschiedliche Interessen verfolgen dürften, haben sie eine gemeinsame Forderung: Das Schulsystem muss dreigliedrig bleiben, „wenn auch mit mehr Durchlässigkeit“, sagt Kliegis. Das sei im Interesse der Kinder, von denen nur ein geringer Teil „im Graubereich“, also nicht eindeutig einer Schulart zuzuordnen sei: „Für die müssen wir Konzepte finden. Aber die große Menge ist genau mit dem Profil zufrieden.“ Hauptschüler würden „noch schlechter“, wenn sie mit Realschülern gemeinsam lernen würden, und am miesen Image der Hauptschule müsse die Politik eben arbeiten.

Schlechte Pisa-Ergebnisse, demografischer Wandel, neue Anforderungen? Kliegis wischt alle Einwände weg: „Es dauert länger, in inhomogenen Gruppen zu lernen.“ Das belegten Studien, sagt er. Fachleute sehen das anders: So machen Pisa-Koordinator Andreas Schleicher wie auch der UN-Sonderberichterstatter für Bildung, Vernor Muñoz Villalobos, die Dreigliedrigkeit verantwortlich für die Ungleichheit im deutschen Bildungswesen. Auch Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut stellte fest, das dreigliedrige System reflektiere „die Drei-Klassen-Gesellschaft des 19. Jahrhunderts“.

Das Aktionsbündnis will nun ein Konzept für die „bessere Schule“ ausarbeiten und dann die Volksinitiative starten. Ulrich Kliegis ist guten Mutes, die nötigen 20.000 Unterschriften zu bekommen. Dann folgen Volksbegehren und -entscheid. Damit hat Kliegis Erfahrung: Er hat schon gegen die Rechtschreibreform einen Volksentscheid erwirkt. Dass das Bündnis ausgerechnet mit einer Volksinitiative das „undemokratische Schulsystem“ verteidigen wolle, nannte der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck, selbst Vater von vier Kindern, gestern „fast schon zynisch“. Esther Geißlinger