PETER UNFRIED NEUE ÖKOS
: Kennst du nicht? Das ist Brando

Joschka Fischer, „Am laufenden Band“ und Tschernobyl: Meine Welt ist nicht die meiner Kinder. Bis auf „Rainer“

Als wir Erwachsene vom gefrorenen Strand zurückkamen, waren die Kinder immerhin aufgestanden. Jetzt war jeder mit seinem Lieblingsmedium beschäftigt. Adorno starrte in seine Playstation, Penelope spielte am Laptop „Sims“, ich las in einer saturierten Sonntagszeitung und rülpste zufrieden.

Penelope schaute halb interessiert rüber und zeigte auf ein Zeitungsfoto. „Wer ist das?“

Ich sagte: „Kennst du nicht? Das ist Marlon Brando, einer der berühmtesten Schauspieler der Welt.“

Sie sagte: „Wäre er einer der berühmtesten Schauspieler der Welt, würde ich ihn kennen.“ Adorno nickte beiläufig.

In diesem Moment wurde mir klar, dass wir zwar gleichzeitig leben, aber in Wahrheit in zwei verschiedenen Welten. Es ist ja nicht nur Brando.

Joschka Fischer, Feminismusdiskussionen, das Fragezeichen von „Am laufenden Band“, Tschernobyl, Heinz-Rudolf Kunze – vieles, was für mich noch existiert (oder durch mich), gibt es in ihrer Welt nicht.

Nur manchmal kreuzen sich die Bahnen unserer Planeten. Beispielsweise reden die Kinder gern von „Rainer“. Allerdings erst seit dem RTL-Dschungelcamp. Dass „Rainer“ seit 1973 keinen Samenerguss mehr hatte, hat sie äußerst nachdenklich gestimmt.

Vor allem aber ist „Rainer“ für sie kein Achtundsechziger, sondern einer, der sich fleischfrei ernährt. Also ein ganz normaler Mensch. Einer von ihnen.

Ich dagegen: „Du bist ja Flexitarier“, sagen sie. Genau. Das ist jemand, der nur gelegentlich Fleisch isst. Also ein Supertyp. Aber bei ihnen klingt das, als würde ich jemanden „Heino“ nennen. Oder „Alfred Dregger“.

Dabei war mein Osteewochenende doch quasi fleischfrei gewesen. Bis auf ein klitzekleines Mettwurstbrötchen.

„Was?“, schrien sie. „Du hast doch auch Fisch gegessen!“

Na, und da machte ich einen furchtbaren Fehler. „Fisch ist kein Fleisch“, rief ich schneidig.

„Fische leben und haben Augen“, schrien sie empört. Dann wiesen sie mir mit zwei, drei Klicks nach, dass ein Fischkörper Knorpel, Muskeln, Nerven und Blutgefäße hat und damit im Sinne des Fleischbeschaugesetzes Fleisch ist.

Hm. Ich habe das geprüft. Außer mir unterscheidet weltweit nur noch eine Institution zwischen Fisch und Fleisch, die ihren Sitz in Rom hat.

Es ist bitter. Meine Kinder leben mit Rainer Langhans in der Gegenwart. Und ich lebe mit der katholischen Kirche in der Vergangenheit.

Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber