Baron ohne Waffen

IRLAND Es sind die ersten Wahlen nach der Bankenkrise – und Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams kandidiert

Der Termin: Die irische Regierung hat für den 25. Februar eine vorgezogene Neuwahl des Parlaments angesetzt. Der konservative Premierminister Brian Cowen, der durch die Finanzkrise in Irland heftig in die Kritik geraten war, stellt sich nicht mehr zur Wahl.

Die Krise: Irland wurde von der Finanzkrise aufgrund einer sehr laxen Regulierung des Finanzsektors besonders hart getroffen. Die EU-Finanzminister beschlossen Ende November 2010 ein Hilfspaket von über 85 Milliarden Euro aus dem Euro-Stabilitätsprogramm.

VON RALF SOTSCHECK

Es ist eine Art Heimspiel für ihn. Wenn die Iren am kommenden Freitag ein neues Parlament wählen, wird Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams einer der Abgeordneten sein. Der 62-Jährige war seit 1983 mit einer Unterbrechung von fünf Jahren Unterhaus-Abgeordneter, aber den Sitz in London hat er nie eingenommen, weil er keinen Eid auf die Königin ablegen wollte.

Nun ist er offiziell zurückgetreten. Freilich mussten sie ihn aufgrund der britischen Parlamentstradition, die keinen Rücktritt vorsieht, zunächst zum Baron ernennen, denn wer im Dienst der Krone steht, darf kein Abgeordneter sein.

Adams kandidiert in Louth, der kleinsten der sechsundzwanzig Grafschaften in der Republik Irland. Der James-Bond-Darsteller Pierce Brosnan und die Pop-Geschwister The Corrs stammen von hier. Louth liegt an der Grenze zu Nordirland, auf halbem Weg zwischen Dublin und Belfast. Deshalb war die Grafschaft Zufluchtsort für viele IRA-Mitglieder, die im Norden der Insel gesucht wurden. Seit 2002 saß Arthur Morgan für Sinn Féin („Wir selbst“) als Abgeordneter für Louth im Parlament, doch jetzt hatte er keine Lust mehr auf den „bizarren Betrieb“, wie er es nannte.

Adams hingegen hat Lust auf Veränderung, auch wenn er kurz vor dem Pensionsalter steht. Sinn Féin ist die einzige Partei, die in beiden Teilen Irlands antritt – mit unterschiedlichem Erfolg. In Nordirland ist sie die zweitstärkste Kraft, in der Republik hält sie zurzeit nur fünf Sitze. Doch Adams wittert die Chance auf einen Durchbruch.

Voreilige Bankengarantie

Das Land ist im Umbruch, es sind die ersten Wahlen, die direkt durch die Bankenkrise ausgelöst worden sind. Die Regierungspartei Fianna Fáil, die noch nie unter 39 Prozent gesunken ist, muss mit einer Halbierung ihres Stimmanteils rechnen, weil sie mit ihrer voreiligen Bankengarantie die Insel in den Bankrott getrieben hat. Sie kämpft mit Sinn Féin um den dritten Platz hinter Fine Gael und der Labour Party, die wohl eine Koalition eingehen werden. Micheál Martin, der im Januar nach dem Zusammenbruch der Regierung neuer Fianna-Fáil-Chef geworden ist, bemüht sich deshalb kaum, die beiden führenden Parteien zu attackieren, sondern konzentriert seine Kritik auf Sinn Féin.

Er wirft Adams vor, dass Sinn Féin als Mitglied der Koalitionsregierung in Nordirland gerade Kürzungen in Höhe von 4 Milliarden Pfund verabschiedet hat, während die Partei in der Republik dafür eintritt, den Sparhaushalt zurückzunehmen und die Zahlungen an EU und Internationalen Währungsfonds für die Bankenrettung einzustellen. Martin behauptet, Sinn Féins Programm würde die irische Wirtschaft ruinieren – als ob sie nicht durch Fianna Fáils verheerende Politik schon ruiniert wäre.

Zur Umsetzung des Plans wird Adams ohnehin nicht kommen, alle anderen Parteien haben bereits im Vorfeld eine Koalition mit Sinn Féin abgelehnt. Eine Besserung der irischen Notlage ist nicht abzusehen. Fine Gael unterscheidet sich politisch kaum von Fianna Fáil, beide sind Abspaltungen von der Irisch-Republikanischen Armee (IRA). Die Parteizugehörigkeit hängt davon ab, auf welcher Seite der Urgroßvater im Bürgerkrieg 1922 gekämpft hat: Die einen, Fine Gael, waren für die Teilung der Insel, die anderen dagegen.

Adams glaubt noch immer an ein vereinigtes Irland zu seinen Lebzeiten, auch wenn seine Partei im Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998 unterschrieben hat, dass die Insel so lange geteilt bleibt, wie es eine Mehrheit der probritischen Unionisten wünscht. Die IRA, Sinn Féins bewaffneter Arm, hat sich mehr oder weniger aufgelöst. Doch die Vergangenheit holt Adams immer wieder ein. Zwar erklärte er vor einigen Jahren, dass er nie in der IRA war, aber das glauben ihm nicht mal seine treuesten Anhänger. In den inoffiziellen Biografien heißt es, dass Adams Architekt des „Blutigen Freitag“ war, an dem 1972 in Belfast zweiundzwanzig Bomben an einem Tag hochgingen.

Am Verschwinden von Jean McConville soll er laut Aussage eines ehemaligen IRA-Kommandanten ebenfalls beteiligt gewesen sein. Die Mutter von zehn Kindern, die für die britische Armee spioniert haben soll, war 1973 verschwunden, ihre Leiche wurde erst siebenundzwanzig Jahre später gefunden – in Louth. In dieser Grafschaft, in der Adams nun kandidiert, lebte bis vor einem Jahr sein Bruder Liam. Dessen Tochter Áine Tyrrell erklärte vergangenes Jahr, dass sie über einen Zeitraum von acht Jahren hinweg von ihrem Vater vergewaltigt worden sei. Es begann 1978, als sie vier Jahre alt war. Gerry Adams wusste von den Vorwürfen seit 1987 und ließ weiter zu, dass sein Bruder mit Kindern und Jugendlichen arbeitete.

Und Wikileaks hat vor Kurzem ein Dokument veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass Adams 2004 nach Meinung der damaligen irischen Regierung über den IRA-Bankraub mit einer Rekordbeute von rund 26 Millionen Pfund vorab informiert war. Das allerdings wird Adams nicht schaden. Die Iren stimmen mit ihm darin überein, dass der größte Bankraub aller Zeiten von den Banken selbst begangen worden sei.