Beistand an Wiege und Wickeltisch

Familienministerin von der Leyen stellt Pilotprojekte vor, die Kinder vor Misshandlungen bewahren sollen – und wehrt sich gegen Vorwürfe, sie täte nicht genug für den Kinderschutz: Den Ländern stehe es frei, Zwangsuntersuchungen einzuführen

VON COSIMA SCHMITT

Sie plaudern mit der Mutter und beraten bei der Essenswahl. Sie sollen Eltern Hilfe anbieten, die von sich aus nie danach fragen würden. Vielerorts in Deutschland sollen künftig Profis Müttern beistehen, die sonst womöglich mit dem Nachwuchs überfordert sind. „Frühwarnsysteme“ nennt Ursula von der Leyen (CDU) zwei neue Kinderschutzkonzepte, die sie gestern in Berlin vorstellte. „Der tragische Fall von Kevin in Bremen zeigt uns, wie dringend diese Projekte sind“, sagte die Familienministerin.

Schon länger sinnt von der Leyen darüber nach, wie sie Kinder besser vor nachlässigen oder brutalen Eltern schützen könnte. Angesichts der aktuellen Debatte gerät sie nun unter Druck, konkrete Vorhaben vorzuweisen. Vor ein paar Monaten hatte die Regierung angekündigt, zehn Millionen Euro für Pilotprojekte bereitzustellen. Die Ausführung der Projekte obliegt Ländern und Kommunen; der Bund will dann die Ergebnisse auswerten.

Das erste der beiden Vorhaben, die von der Leyen gestern vorgestellt hat, nennt sich „Guter Start ins Kinderleben“ und findet jeweils in mindestens einer Stadt und einem Landkreis in Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Thüringen statt. Fachleute wollen Familien, die sie für gefährdet halten, Hilfe anbieten. Auf Video wollen sie festhalten, wie sich Mutter und Kind zueinander verhalten. So hoffen sie, die Mütter gezielt beraten zu können.

Das zweite Programm heißt „Pro Kind“ und beginnt jetzt in Niedersachsen und Bremen. Schwangere, die wenig Geld haben, sehr jung oder krank sind, die keinen Beruf gelernt haben oder gewalttätigen Familien entstammen, sollen regelmäßig von einer Hebamme oder Sozialarbeiterin besucht werden. Dies setzt sich fort, bis das Kind zwei Jahre alt ist. So hoffen die Experten, die Mutter-Kind-Bindung zu fördern und bei Problemen früh eingreifen zu können.

Bei der Grundidee, gefährdete Familien gezielter zu betreuen, weiß von der Leyen sich derzeit von einem breiten politischen Konsens getragen. Heftig umstritten ist indes, ob dies ein freiwilliges Angebot sein soll – oder ob Eltern notfalls gezwungen werden müssen, mit professionellen Stellen zusammenzuarbeiten. Dass die Ministerin zur Gruppe jener gehört, die Zwangsmaßnahmen wie eine Pflicht zur Vorsorgeuntersuchung ablehnen, bringt ihr auch innerhalb der Union massive Kritik ein. Hessens Sozialministerin Silke Lautenschläger etwa warf von der Leyen eine Blockadehaltung vor: „Gebetsmühlenartig“ habe sie den Bund aufgefordert, Frühuntersuchungen verpflichtend zu machen. Von der Leyen weist die Kritik zurück – und erklärt sich für nicht zuständig: „Wenn Frau Lautenschläger eine Zwangsuntersuchung will, kann sie diese in Hessen sofort einführen. Gesundheitsprävention ist Ländersache.“ Sie selbst jedenfalls setze auf „höhere Verbindlichkeit“ statt auf Zwang – und auf eine bessere Vernetzung von Ärzten, Krankenkassen und Jugendämtern.

Zumindest ihre Koalitionskollegin Christel Humme, familienpolitische Sprecherin der SPD, weiß sie dabei auf ihrer Seite. „Familien in Schwierigkeiten brauchen keine Strafmaßnahmen, sondern aufsuchende Hilfe“, sagte Humme der taz. So nennen Experten Programme, bei denen die Eltern nicht von sich aus aktiv werden müssen, sondern SozialarbeiterInnen an sie herantreten. Löblich sei etwa das Projekt, das die Stadt Dormagen praktiziert. Dort besuchen Sozialarbeiter jede junge Familie, egal ob sie arm oder reich ist. „So fühlen sich die Eltern auch nicht gleich als Problemfälle stigmatisiert“, sagt Humme.