Jan Feddersen über PARALLELGESELLSCHAFT
: Wellness ohne Förderantrag

Feste feiern europäisch – in Antalya oder Bergen. Endlich haben auch linke Aufsteiger das Protzen und Prassen gelernt

Neulich kam eine Einladung zu einer Silbernenbeziehung, die beiden waren tatsächlich trauscheinlos 25 Jahre beieinander, in guten wie auch in schlechten Tagen, jedenfalls sexuell überwiegend treu.

Das war allerdings weniger erstaunlich als der Ort der Feier. Bergen nämlich, das norwegische. Dort habe man sich ja auch kennen gelernt. Freunde europäischsten Zuschnitts sollten kommen, miteinander speisen, sprechen, tanzen, ein DJ war angeheuert worden, und am Sonntagmorgen sollte es ein koscheres Frühstück geben. Und per Mail wurde noch innigst darauf hingewiesen, dass der beste Weg vom Flughafen zum Hotel, ein „wirklich wahnsinnig süßes Pensionshäuschen mit Viersternekomfort“, der per Taxi sei.

Nun soll man nicht meckern, nicht gleich darüber nachdenken, dass alles in Norwegen ausgepreist ist, als spielte man Monte Carlo, aber das war doch neu: Freunde laden einander ein – nicht nach Hause, sondern, wie originell, ins nahe Ausland. Soll sich doch spiegeln, dass man beruflich in den letzten Jahren sehr viel unterwegs war. Der Tipp mit dem Taxi war ein Quäntchen zu krass für die gemütliche Party alter, wichtigster und engster Freunde: fern zumeist und doch stets nah, erfreut über mannigfaltigen netzwerkengstmaschigen Kontakt, doch traurig, sehr sogar, weil er nur selten zu sich kommt.

Offenbar stellten sich die Gastgeber die moderne Welt vor wie eine, in der Geld nur noch eine dienende Rolle spielt, keine einzwängende, beschränkende. Taxi? Hotel? Shopping? Die 131 Gäste schließlich wussten, was gutes Leben ist. Und sie waren nicht von konservativem Kaliber. Rot und grün waren die politischen Farben ihrer Herzen, Kinder von Angestellten und Arbeitern, die auf ihre Art den Aufstieg schafften oder kurz vor dessen Gipfel waren. Dermot aus Dublin, Virginie aus Lausanne, Karl und Stefanie aus Hamburg, Doris und Anna aus Den Haag und natürlich Magali wie Thierry aus Strasbourg. Die Deutschen auf dieser Party, knapp die Hälfte, klagten engagiert und kritisch im Wellnessbereich über Hartz IV und dass bald alles schlimm wird. Eine herrliche Feier, an deren Ende sich das Personal der ja wahnsinnig süßen Herberge etwas verblüfft zeigte, weil die Trinkgelder nah am Geiz hinterlegt wurden, jedenfalls keine glücklichen Eindrücke hinterließen. Anders gesagt: ein famoser Ausflug, der pro Person etwa zweimal deutschen Sozialhilfesatz kostete.

Aber ist das moralisch verwerflich? Einen Vorwurf zu machen für die geldverpulverisierende Art, die den meisten ihrer Eltern Angst machen würde? So von wegen: Das ist wie Geldverbrennen und keine Sparsamkeit, so wie früher man es halten musste, wenn man zum Urlaub zur Oma fuhr, weil es nicht anders ging?

Nein, das ist okay, vollokay, vorbildlich sowieso. Die ganze Hartz-IV-Diskussion leidet doch drunter, dass man ständig den Wohlhabenden Protz vorhält und die Unnötigkeit der geschmackvollen Lebensumstände. Man darf die Proteste gegen die tatsächlich erbärmlichen Nöte der Perspektivlosen nicht einheizen, indem man sagt, das gute Leben im Luxus brauche man doch nicht. Sparten alle, auch die Bürgerlichen, hätten alle mehr. Das ist ungefähr so, als würde man sagen, wenn schon so viele schlechten Sex und nur wenige solchen der eindrücklichen Art haben, dann sollen alle am besten mittelmäßig poppen. Falsch. Für das Recht auf Wohllebe, das Prassen, das Unnötige, das Ausschweifende, Dienstbare. Taxi zu fahren ist toller als U-Bahn, Putzen lassen netter als selbst die Fliesen zu wischen, das Grand Hotel mit WLAN-Zone besser als das Hotel Garni auf dem Land im Handyfunkloch.

Die nächste Einladung lag schon zuhause. Ein Freund wird in Bälde 60. In der Türkei bei Antalya, in einer Ferienanlage, die eigens für dieses Get-together im Jugendherbergsstyle dekoriert wird. „Wer sich das nicht leisten kann, darf einen Förderantrag stellen.“ Und das ist, alles in allem, doch sehr taktlos: Als ob das einer bei der ganzen Elendsliebe der Mitteleuropäer zugeben würde.

Fragen zum Feiern? kolumne@taz.de Dienstag: Arno Frank GESCHÖPFE