Neukölln hat jetzt auch ein „Berghain“

CLUBKULTUR Als das SchwuZ 2013 vom Mehringdamm in den Neuköllner Rollbergkiez zog, bangten viele, ob der Club dorthin passt. Eine Bilanz nach acht Monaten am neuen Standort

Die 87-jährige Anwohnerin Ursula D. war schon zweimal im SchwuZ tanzen

VON ANDREAS MARSCHNER

„Ich bin dann mal weg“, ruft ein junger Mann in weißem T-Shirt und Jeans in sein Handy, „unten im Club habe ich keinen Empfang, wir gehen jetzt rein.“ Er und seine Freunde haben Glück, keine lange Schlange vorm SchwuZ. „Super Timing“, freut sich einer. Es ist Sonnabend, 0.45 Uhr. Über dem Eingang in der Rollbergstraße 26 steht: „Heute ‚Le Bump‘“. Auf dem weitläufigen Platz vor dem Club warten vereinzelt kleine Grüppchen, man lacht, raucht, glüht schon mal vor. Ist hier heute wirklich was los?

Kaum Leute, keine wummernden Bässe. Doch der Schein trügt gewaltig! Vorbei an einem Schild mit der Aufschrift „Bitte Ruhe! Sei nett zur Nachbarschaft“ und freundlichen Türstehern geht es in eine riesige Vorhalle, ein paar Stufen nach unten – jetzt sind es nur noch wenige Meter zum Partypulk. Auf drei Dancefloors toben Hunderte zu Disco-, Club- und Schlagerklassikern. Die Soundanlagen sind voll aufgedreht. Kein Problem hier unten. Denn das neue SchwuZ (kurz für das 1977 in Westberlin gegründete „Schwulenzentrum“) befindet sich in ehemaligen Lagerräumen der Kindl-Brauerei, die in einen Felsen gehauen wurden. Ein abgefahrenes Labyrinth im Alte-Fabrik-Look.

DJ Modeopfer aka Camelia Light veranstaltet seit 13 Jahren die Party „Bump! das Retrostudio“. Er findet die neue Location unglaublich fesselnd, „sie produziert eine spannende Atmosphäre“. Eigentlich war er gegen den Umzug nach Neukölln: „Ich war mir nicht sicher, ob der Kiez in seiner sozialen Struktur diesen Club verträgt, ich hatte Angst.“ Auch andere im Team, das inzwischen aus knapp hundert Mitarbeitern besteht, waren kritisch. Die Gegend sei zu gefährlich, zu düster, zu homophob, hieß es. „Von unseren Bedenken und Befürchtungen hat sich bis heute gar nichts bewahrheitet“, sagt SchwuZ-Geschäftsführer Marcel Weber. Unterm Strich sei es eine richtige und gute Entscheidung gewesen, hierher zu ziehen.

Von gewalttätigen Übergriffen oder Anfeindungen weiß er nichts. Ähnlich im Polizei-Abschnitt 55, schräg gegenüber vom Club. Polizeisprecher Michael Maaß berichtet nur von Beschwerden über in zweiter Reihe stehende Taxis und klappende Autotüren. Übergriffe? Fehlanzeige.

Nur manche Anwohner fühlen sich gestört: Die 82-jährige Gisela D., die in der Seniorenwohnanlage direkt gegenüber vom SchwuZ wohnt, kann manche Nacht nicht schlafen, weil sich Clubbesucher auf der Straße laut unterhalten oder singen. „Clubbetrieb und Seniorenwohnanlage, das beißt sich“, bestätigt Sylvia-Fee Wadehn, Sprecherin des Seniorenbeirats der Wohnanlage. Doch das Verhältnis zum SchwuZ-Team sei sehr freundschaftlich, „wir reden über alle Probleme und suchen nach Lösungen“. So hätten die Mieter jetzt eine Notfallnummer von den Leuten am Einlass, die sie bei Lärmbelästigung sofort anrufen können. Andere aus der Wohnanlage sind dagegen vom SchwuZ begeistert. Die 87-jährige Ursula D. war sogar schon zweimal dort tanzen.

Das Veranstaltungsportfolio des SchwuZ ist vielfältig. Die festen Partyreihen heißen u. a. Bump!, London Calling, Elektronischer Donnerstag, Popkicker, Hot Topic oder Repeat. Hinzu kommen Podiumsdiskussionen, Lesungen, Theateraufführungen, der Konzertbetrieb soll ausgebaut werden.

Auch die Infrastruktur um das SchwuZ herum wächst langsam. Nicht weit entfernt sind Bars wie das Suzie Fu in der Flughafenstraße, The Club in der Biebricher Straße oder das Silver Future in der Weserstraße. „Ich bin mir sicher, dass in ein, zwei Jahren auch in unmittelbarer SchwuZ-Nähe eine Bar mit Bezug zu uns aufmacht“, sagt Marcel Weber. Die neue Location sei jedenfalls voll. Zur Opening-Party am 16. November 2013 kamen 2.500 Leute. Und der Zulauf hält an, was die Clubmacher freut.

Immerhin ist das neue SchwuZ mit etwa 1.500 Quadratmetern doppelt so groß wie das alte in Kreuzberg. Vielen Besuchern gefällt die neue Location. „Es ist gefühlt zehnmal größer“, sagt Stammgast Martin. Er findet die neuen Räume einfach cooler, einige würden es auch „das neue Berghain in Neukölln“ nennen, erzählt er. Anne und ihre Freundin Laura mochten das alte SchwuZ mehr, „das war irgendwie vertrauter“, sagen sie.

Der Mietvertrag für die Räume in der Rollbergstraße läuft erst einmal bis 2018, mit der Option auf weitere fünf Jahre. Ein guter Kontakt zu den Nachbarn ist dem Club-Management sehr wichtig. Einige aus dem SchwuZ-Team haben schon gemeinsam mit dem Kiezverein Morus 14 gekocht, die Bewohner der Seniorenanlage wurden zu Kaffee und Kuchen eingeladen.

Zudem hat das SchwuZ einen Runden Tisch mit sämtlichen Akteuren aus dem Bezirk und Anwohnern initiiert. „Wir machen aktive Netzwerkarbeit vor Ort“, betont Marcel Weber. Das SchwuZ wolle mindestens die zehn Jahre hier bleiben, wenn möglich noch viel länger. In dem Gebäude gebe es viele interessante Flächen, die noch nicht erschlossen seien. „Wer weiß, was da eines Tages noch an Ideen kommt, an die wir heute noch gar nicht denken.“