Anthony Rau ist schwer zu fassen

Der Deutsch-Ghanaer kämpft als selbst erklärter Menschenrechtler gegen die Behörden. Zahllose Verfahren hat er durchgefochten, Hamburger Flüchtlingsanwälte reden über ihn mit Respekt. Dabei hat Rau einst die Schill-Partei mitgegründet. Und er ist noch immer stolz darauf

„Irgendjemand muss die Behörden kontrollieren“, sagt Anthony Rau. „Wenn ich das nicht mache, wer soll es sonst tun?“

VON DANIEL WIESE

Die Männerstimme am Telefon klingt sonor, als gehöre sie einem Opernsänger, der beim Sprechen die Tiefen seines Brustkorbs aktiviert. „Hallo, ich bin Anthony Rau“, dröhnt die Stimme, „Sie kennen mich bestimmt.“ Nein? „Das kann nicht sein. In Hamburg kennt mich jeder.“ Der Grund, aus dem er anruft, ist sein neuester Fall, ach was: sein neuester Erfolg. Die Hamburger Ausländerbehörde mache Deals mit dem Verwaltungsgericht, das sei illegal und verstoße gegen die Gewaltenteilung, die Beweise habe er, Rau, bei sich zu Hause.

Beim Stichwort „Anthony Rau“ spuckt das Archiv einige hundert Treffer aus, darunter alte Zeitungsartikel, in denen es um einen Streit zwischen Rau und der Schillpartei geht. Die Partei habe ihn als „Alibi-Neger“ benutzt, wird Rau in der taz vom 28. 7. 2000 zitiert. Rau war Mitglied in der Partei, saß sogar im Vorstand. Er musste dann aber gehen, weil er die Forderung nicht mittragen wollte, Asylbewerber ohne gültige Papiere konsequent in Drittländer abzuschieben.

Anthony Rau wohnt derzeit in einem Hochhaus am Rande von Hamburg-Altona. Als sich die Fahrstuhltür öffnet, steht er schon in der Wohnungstür, seine kleine Tochter im Arm, im Gesicht ein breites Grinsen. „Sie kommen pünktlich“, sagt er in singendem Tonfall, „das finde ich gut“.

Der Mann aus Ghana ist nicht sehr groß, aber er wirkt größer, als er ist. Das muss an der Zuversicht liegen, die er ausstrahlt. „Keine Sorge, das wird schon“, sagt er zu seinem Freund, der neben ihm auf dem neu gekauften, beigen Sofa sitzt. Der Freund ist ebenfalls Deutsch-Ghanaer, er kämpft seit fast einem Jahr darum, dass seine Frau in Deutschland bleiben darf. Das zuständige Standesamt wollte die Heirat nicht anerkennen, weil sie in Ghana nach dem Stammesritus geschlossen wurde, jetzt prüft die deutsche Botschaft in Ghana die Sache nach. „Sie müssen das anerkennen“, sagt Rau, es gebe da ein Abkommen mit der Bundesrepublik. „Wenn du es sagst“, sagt der Freund, er scheint skeptisch zu sein.

Bevor Anthony Rau die Frau heiratete, von der er seinen Nachnamen hat, hieß er Anthony Kwabena Abebereseh und war Asylbewerber. „Meine Frau hat mir beigebracht zu kämpfen“, sagt er. Inzwischen ist er längst getrennt, hat Kinder mit einer Ghanaerin, mit der er auch zusammenlebt in seiner Hochhauswohnung. Doch der Kampf geht für ihn weiter, statt für sich kämpft er jetzt eben für andere. Auf seinem Briefkopf steht in großen Buchstaben „Human Rights Activist“. „Irgendjemand muss die Behörden kontrollieren“, sagt Anthony Rau. „Wenn ich das nicht mache, wer soll es sonst tun?“

Über 5.000 Menschen habe er das Bleiberecht verschafft, behauptet Rau, der sich am Handy gerne mit „Anthony Rau, Menschenrechtler“ meldet. Er bilde Anwälte aus, im Ausländerrecht. Bei den Asylverfahren mache er die Arbeit, die Anwälte unterschrieben nur.

Tatsächlich ist er in der Szene der Hamburger Flüchtlingsanwälte kein Unbekannter. Die Sekretärin in einer Kanzlei atmet tief durch, als sie den Namen hört. Ihre Anwältin sagt, dass sie früher mit Rau zu tun hatte, und da habe er „segensreich gewirkt“. „Er geht mit den Leuten auf die Behörden, das machen die Anwälte nicht“, sagt ein Anwalt aus einer anderen Kanzlei.

Er habe nie studiert, schon gar nicht Jura, sagt Rau. „Das ist Talent“, er lächelt wieder sein breites Lächeln. „Ich bin einfach gut.“ Weil er so vielen Leuten hilft, wird auch ihm geholfen, man bringt ihm zu essen, er bekommt Geld zugesteckt, von einem Freund darf er das Auto benutzen.

Unten vor dem Hochhaus steuert Rau auf einen weißen Mercedes der C-Klasse zu. „Ich kann Sie zurückbringen“, hatte er angeboten. Als er die Tür aufschließt, erscheint auf seinem Gesicht wieder das zufriedene Grinsen. Früher, erzählt er, sei er Kurierfahrer gewesen. Dann wurde er krank, Herzmuskelentzündung. Seitdem ist er schwerbehindert, 70 Prozent. Den Ausweis hat er noch oben in der Wohnung gezeigt. „Ich habe dafür gekämpft“.

Gekämpft hat Rau auch, als er in die Schill-Partei ging. Es war der Kampf gegen „die Drogendealer, die unsere Kinder kaputtdemzufolgemachen“. Rau wohnte damals im Schanzenviertel, mitten in einer aktiven Drogenszene. Die Schill-Partei schien ihm die richtige Adresse zu sein. Die Dealer, sagte er damals, würden ein schlechtes Licht auf die vielen „anständigen Schwarzafrikaner“ werfen.

„Ich bin stolz auf das, was wir mit der Schill-Partei erreicht haben“, sagt Anthony Rau heute. Auf Schill lässt er nichts kommen, obwohl der ihn aus der Partei geworfen hat. Noch immer telefoniere er mit Schill, das Problem sei nur, dass der ständig demzufolgeseine Telefonnummer wechsle. Manchmal gebe Schill, der ehemalige Amtsrichter, ihm auch einen Rat, wie er bei Gericht auftreten müsse, um seine Abschiebefälle durchzubringen. Anthony Rau drückt aufs Gaspedal.

Ob er in Deutschland bleibt, weiß Rau allerdings nicht. Er habe da ein Angebot. Geschäftsführer einer Müllverbrennungsanlage in Ghana, die Investoren kämen aus den USA. Nächste Woche werde er unterschreiben.

Eine Woche später, beim nächsten Treffen mit Anthony Rau, kommt er zu Fuß. Der Mercedes sei kaputt, sagt er, der Scheibenwischer klemmt. Rau will zur Rundfunkgebührenstelle des NDR, eine Frau aus Ghana kann ihre Rechnungen nicht bezahlen. „Sie nehmen uns unser Recht“, sagt er kämpferisch.

Im Bus erzählt er dann, dass er immer noch nach Ghana zurück will. „Immer nur gefüttert werden, ist auch nicht gut“, plötzlich klingt seine Stimme ein bisschen traurig. Dann hellt sich seine Miene auf. Er habe Angebote, von Deutschen. Die wollten in Ghana Palmöl und Gold kaufen, und er solle vermitteln.

Bei der Gebührenstelle des NDR sind sie sehr freundlich, sie wollen den Antrag nach Köln weiterleiten an die zuständige Stelle. Draußen verabschiedet sich Anthony Rau. Er muss noch zum Mercedeshändler, einen neuen Scheibenwischer kaufen.