berliner szenen Kaffee global

Welt im Ärmel

Ich habe die Hackeschen Höfe heute extra wegen Starbucks angesteuert. Jetzt stehe ich mit schlechtem Gewissen in der Schlange vor der Kasse. Eigentlich mag ich Kaffeehausketten nicht, aber ich freue mich trotzdem auf die flauschigen Sessel, in denen ich mit einem Caramel Latte und einer Zeitschrift versinken kann. Vor mir steht ein alter Mann, er passt nicht ins Bild. Alle anderen Wartenden sind jünger. Er kneift seine Augen hinter den Brillengläsern zusammen und studiert den Kaffeeaushang hinter der Kasse. Beverages, Latte Macchiato, Flavours. Manches ist sehr klein gedruckt. Zwischendurch fingert er an seinem Mantelärmel herum und schaut in die Öffnung. Ich beuge mich vor, um zu sehen, ob er es so eilig hat, dass er alle zehn Sekunden seine Uhr checken muss. Er wirkt nicht wie jemand, der wichtige Termine hat.

Aber dann sehe ich, dass ein Pocket-Wörterbuch Englisch-Deutsch in seinem Ärmel steckt. Ich betrachte den Aushang plötzlich mit anderen Augen. Es steht kein einziges deutsches Wort darauf. Sein Blick wandert von den Angeboten ins Wörterbuch und zurück zu den Angeboten. Er bemüht sich dabei so auffällig, sich unauffällig zu verhalten, dass er von den Bedienungen hinter der Kasse misstrauisch gemustert wird. Wahrscheinlich haben sie Angst, dass er Muffins oder Brownies in seinem Ärmel verschwinden lässt. Plötzlich steckt er das Buch entschlossen in die Tasche und reckt sein Kinn vor, als hätte er eine Entscheidung getroffen. Die Schlange wandert ein Stückchen vor und er steht vor der Bedienung. Ich bin gespannt, was er bestellen wird. Ein Kännchen Kaffee, sagt er mit lauter Stimme. Die Zeit scheint für einen Augenblick still zu stehen und jeder im Raum sieht ihn an.SANDRA NIERMEYER