Sätze zur Eskalation gezwungen

Arkadi Babtschenko ist Teil einer literarischen Bewegung in Russland, die den Tschetschenienkrieg ins Bewusstsein heben will.Nun erscheinen seine Texte erstmals auf Deutsch

VON WIEBKE POROMBKA

Arkadi Babtschenko ist ein russischer Autor, dies ist seine erste Buchveröffentlichung, „Die Farbe des Krieges“ ist ihr lyrisch anmutender Titel. Doch der Titel täuscht. Das Buch wird dem Leser gehörig auf den Magen schlagen. Erzählt wird von den Auseinandersetzungen in Tschetschenien.

Arkadi Babtschenko, Jahrgang 1977, spricht nicht aus der Ferne. Er hat selbst als neunzehnjähriger Soldat an den Kämpfen um die Nachbarrepublik teilgenommen. Deshalb sieht Babtschenko sich selbst auch nicht so sehr als Schriftsteller. Er zieht die Bezeichnung „Kriegsreporter“ vor. Und tatsächlich gehören seine Schilderungen zum durchaus bekannten beinharten Schützengrabenrealismus jener Autoren, die an den Weltkriegsfronten traumatisiert worden sind.

Allerdings lässt Babtschenkos schonungsloser, in seiner Detailliertheit bisweilen quälender Dokumentarismus die Frage nach ästhetischer Innovation nebensächlich werden. Was im medialen Zeitraffer der täglichen Nachrichtensendungen zur bloßen Statistik über Human- und Kollateralschäden zusammenschrumpft, bekommt durch die hier vorgenommene erzählerische Verlangsamung eine geradezu physische Präsenz: die Schwärme von Kadaverfliegen, die blutigen Ekzeme, die nach Wochen in schlammigen Erdlöchern nicht mehr verheilen wollen, das unheilvolle Knirschen der Glassplitter unter den Füßen der Soldaten im Häuserkampf um Grosny. Und immerfort: zermürbende Angst. „Die Farbe des Krieges“ ist eines jener Bücher, die nicht nur an der Demontage des Heldentums mitschreiben, das auch im postkommunistischen Russland immer noch beschworen wird. Es will vor allem auch diejenigen eines Besseren belehren, die immer noch an den Mythos vom sauberen Krieg glauben.

Seine eigentliche Relevanz aber gewinnt dieses Buch aus etwas anderem. Was Babtschenko von der Front berichtet, ist grausam genug; doch weitaus grausamer ist, was er über die tagtäglichen Menschenrechtsverletzungen innerhalb der russischen Armee offenlegt. Dass Neulinge erst einmal eine Reihe von Schikanen der Altgedienten über sich ergehen lassen müssen, gehört zwar zur Tradition militärischer Männerbünde. Die systematische Brutalität aber, mit der das Regiment der „Großväter“, wie Babtschenko sie nennt, ganze Kompanien junger Rekruten auf außerordentlich sadistische Weise an die Grenzen des körperlich Ertragbaren treibt, bevor sie überhaupt jemals an den eigentlichen Kampfhandlungen teilgenommen haben, ist geradezu verstörend. Babtschenkos Kritik an einem korrumpierten und gegen alle Regeln operierenden Krieg ist eine Kritik an einem korrumpierten und gegen alle Regeln operierenden Staat. Die dauernden psychischen und physischen Misshandlungen werden zum Symptom eines Systems, das in politischer und sozialer Hinsicht vollkommen außer Kontrolle geraten ist.

Mit dieser Diagnose steht Babtschenko nicht allein. Er ist Teil einer kleinen literarischen Bewegung in Russland, die in der Mehrzahl aus ehemaligen Rekruten des Tschetschenienkriegs besteht und die das Erlebte ins öffentliche Bewusstsein bringen will.

Obwohl als Reaktion auf den Tschetschenienkrieg auch innerhalb Russlands selbst die demokratischen Rechte eingeschränkt und mit ihnen die Zensurmaßnahmen verschärft worden sind, finden die literarischen Regimekritiker bisher in Zeitschriften und im Internet immer noch Foren für ihre Veröffentlichungen. Was nun als „Die Farbe des Krieges“ auf Deutsch vorliegt, ist eine Zusammenstellung der bisher in diesen Nischen erschienenen Texte des Autors. Ob man in Russlands Machtzentrum weiterhin so gelassen reagiert, wenn durch Übersetzungen wie die von Babtschenko das international ohnehin reichlich ramponierte Renommee der Putin-Regierung weitere Schäden verzeichnen muss, bleibt abzuwarten. Die Journalistin Anna Politkowskaja, eine der schärfsten Kritikerinnen des Tschetschenienkriegs, hat ihre Offenheit mit dem Leben bezahlt. Die Nachdrücklichkeit, mit der nun Babtschenko die Apokalypse in Tschetschenien beim Namen nennt, kann als Signal dafür gelesen werden, dass auch die Bilder und Worte, in denen überhaupt noch über diesen Krieg gesprochen werden kann, zur Eskalation gezwungen sind.

So wird Babtschenko vermutlich nicht nur einigen hiesigen Mitarbeitern des Literaturbetriebs den Appetit verderben. Der Wahnsinn in Grosny geht inzwischen einfach weiter.

Arkadi Babtschenko: „Die Farbe des Krieges“. Aus dem Russischen von Olaf Kühl. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2007, 256 S., 17,90 Euro