Ironiegeschulte Filmkunst

Fernando Pérez, der wichtigste kubanische Regisseur, war Gesprächsgast im Münzsalon. Das Arsenal wird ab nächster Woche eine Auswahl seiner Filme zeigen

Lucita zieht sich wiederholt die Bluse aus. Mehr geht nicht. Ihr Geliebter schlägt ihr behutsam vor, sich vorerst nur des Rockes zu entledigen. Denn mit ohne Rock sei man ja noch lange nicht nackt. Sie lehnt ab, und die beiden gehen spazieren und reden. Sex in Worten ist schön.

„Madrigal“, der neue Film von Fernando Pérez, dem bedeutendsten lebenden Regisseurs Kubas, handelt von Spiritualität. Das heißt: von Sex, setzt Pérez gut gelaunt hinzu. „Madrigal“ ist gerade erst fertig geworden. Dieter Kosslik entscheidet in diesen Tagen, ob er auf der nächsten Berlinale zu sehen sein wird. Auf Einladung des Münzsalons e. V. in Berlin-Mitte traf Pérez die Filmemacherin Tamara Trampe am Donnerstagabend zu einem Gespräch. „Filmkunst und Staat“ lautete der Titel.

Trampe war rund 20 Jahre als Dramaturgin für die Defa tätig. Seit dem Mauerfall dreht sie auch ihre eigenen Filme. Ihre Dokumentationen über einen Ex-Stasileutnant „Schwarzer Kasten“ (1991/92) ebenso wie „Weiße Raben – Alptraum Tschetschenien“ (2004) weisen sie als eine engagierte Regisseurin aus. Ihr Anliegen? Zu zeigen, wie manche Menschen ihr Gewissen verlieren, während es bei anderen wenigstens halbwegs intakt bleibt.

Beide Regisseure eint eine sozialistische Vergangenheit. „In den 60ern war ich überzeugt, dass wir die Welt verändern werden“, meint Peréz und lächelt leise, „das glaube ich natürlich heute auch noch.“ Jetzt gluckst er. An dieser Stelle verweigert Trampe einen ironiegeschulten Zweckoptimismus: Sie habe feststellen müssen, dass sie in ihrer Arbeit immer kleinteiliger wird. Um sich nicht selbst zu zerstören, um von außen nicht zerstört zu werden. Früher war man von der Zensur abhängig, heute ist man es vom Geschmack der Sendeanstalten. Sie zuckt mit Schultern. Das ist nicht das Gleiche, aber gut ist das auch nicht.

Ob Pérez von der kubanischen Zensurbehörde belästigt werde, fragt der Moderator. „Ich bin sehr privilegiert“, antwortet Peréz und weicht aus. Überhaupt habe er keine Lust, sich die ewig gleiche Frage stellen zu lassen, ob er für oder gegen Castro arbeite. Musste sich Spielberg nach seinem Verhältnis zu Reagan fragen lassen? Der Moderator hakt nicht nach. So übernimmt Peréz freundlich selbst die Gesprächsleitung und fährt fort: In Kuba werden vor allem Massenmedien strikt kontrolliert – weder „La vida es silbar“ (Das Leben, ein Pfeifen) von 1998 noch „Suite Havanna“ (2003) liefen im Fernsehen. Die Künste aber genießen relative Freiheit. Nur sind die Kinos seit der Wirtschaftskrise in den 90er-Jahren in einem erbärmlichen Zustand. Sachzwang und Verfall anstelle von Zensur. Ein universales Prinzip; auch der Kapitalismus lebt von ihm.

Sein Lieblingsregisseur ist Lars von Trier, „jeder Film zeugt von einem Mut, den ich nie hätte“. Spielberg sei natürlich auch okay, ergänzt er. Wieder entwischt er dem Moderator, der so gerne sein Thema, Kunst versus Diktatur, durchgebracht hätte. Peréz und Trampe aber unterlaufen leicht gelangweilt das Klischee, dass Kuba oder die DDR ihnen als Künstler unentwegt die Daumenschrauben angelegt hätten. Um in diese Falle zu tölpeln, sind die beiden zu desillusioniert. Es gab Vor- und Nachteile, so ihr knappes Statement.

INES KAPPERT

„Weiße Raben“ läuft am Sonntag, 21.25 Uhr auf 3sat; das Arsenal zeigt ab 9. 11. eine Peréz-Filmreihe