Angst vor der ewigen Niederlage


AUS WASHINGTON BERND PICKERT

Dieser Dienstag soll die Wende bringen. Nach sechs Jahren, in denen die konservativen Republikaner in den USA den Präsidenten stellen und gleichzeitig beide Häuser des Kongresses dominieren, sollen die heutigen Kongresswahlen das Ende der Einparteienherrschaft besiegeln. So wollen es die oppositionellen Demokraten, und so sehen es die Demoskopen, die seit Monaten mit täglich neuen Umfrageergebnissen die politische Maschinerie füttern.

Zwar haben die Republikaner in den letzten Tagen aufgeholt – doch Bushs Versuche, das Todesurteil gegen Saddam Hussein als Meilenstein, mithin Wendepunkt, im Irak darzustellen, dürften ins Leere laufen. Sie werden zumal konterkariert von den schlechten Nachrichten für die republikanische Kampagne: Schuldbekenntnis und Rücktritt des evangelikalen Predigers Ted Haggart sowie der Aufruf aller „Military-Reviews“ (Armeezeitschriften), Verteidigungsminister Donald Rumsfeld müsse umgehend zurücktreten, wiegen das Saddam-Urteil nach Meinung der Demoskopen klar auf.

Die aber hatten viel zu tun in den letzten Monaten: Jahrzehntelang galt es als Binsenweisheit, dass in Zwischenwahlen immer diejenige Partei einige Sitze, oft sogar die Mehrheit verliert, die den Präsidenten stellt – unter George W. Bush aber war das bislang anders: Die Republikaner, die schon seit den ersten Zwischenwahlen unter Präsident Clinton 1994 den Kongress beherrschten, gewannen sogar hinzu. Umstrukturierungen von Wahlkreisen zugunsten der Amtsinhaber taten ein Übriges, dass der Traum von Bushs engstem Berater und Wahlkampfstrategen seit texanischen Zeiten, Karl Rove, zum Greifen nahe schien. Er strebt seit Jahren eine kontinuierliche, mindestens ein halbes Jahrhundert währende Hegemonie der Konservativen an – in den Köpfen und Wertvorstellungen der US-Amerikaner, zuallererst aber im Kongress.

Doch dann kamen eineinhalb Jahre, wie sie schlechter für die Republikaner nicht hätten laufen können: Das Regierungsversagen beim Hurrikan „Katrina“ im August vergangenen Jahres und die zahlreichen Korruptionsanklagen gegen führende republikanische Kongressabgeordnete und Senatoren im Rahmen der Affäre um den Lobbyisten Jack Abramoff erschütterten die konservativen Dominanzträume. Doch selbst das würde die allgemeine Wechselstimmung im Land nicht erklären, gäbe es nicht das eine Thema, das alle anderen in den Schatten stellt: Irak.

Irakkrieg rückte ins Zentrum

Spätestens, seit im August der demokratische Irakkriegsbefürworter und langjährige Senator Joe Lieberman aus Connecticut überraschend die demokratischen Vorwahlen für den Senatssitz an den Anti-Kriegs-Kandidaten Ted Lamont verlor, war klar, dass der immer unpopulärere Irakkrieg das zentrale Thema dieser Wahl werden würde. Die drei Worte, die vorher stets halb anklagend, halb drohend die Haltung der Regierung bestimmten, wurden plötzlich aus dem politischen Vokabular gestrichen: „Stay the course“, Kurs halten, wollte plötzlich niemand mehr.

Hatte bislang nur eine Minderheit demokratischer Kongressmitglieder um den Abgeordneten John Murtha sowie den Senator und 2004 gescheiterten Präsidentschaftskandidaten John Kerry Zeitpläne für einen baldigen Abzug gefordert, präsentierten sich plötzlich alle demokratischen Kandidaten als diejenigen, die dafür sorgen würden, dass die Soldaten möglichst bald nach Hause kommen. Freilich: Bei genauem Hinsehen reduzieren sich die konkreten Vorschläge der Demokraten für eine veränderte Irakpolitik auf ein Minimum, ihr tatsächlicher Konsens auf die Kritik – aber immerhin: Allein das Aussprechen des Offensichtlichen, also des bisherigen Scheiterns der USA im Irak, genügt, um glaubwürdiger daherzukommen als die beständig von irgendwelchen Fortschritten fantasierenden Amtsinhaber.

Die Botschaft der Demokraten allerorten: Der Kongress hat versagt, er kontrolliert die Regierung nicht, wie es seine verfassungsmäßige Aufgabe ist, sondern verabschiedet kritiklos alles, was die Regierung will. Rubber-stamp Congress nennen das die Demokraten (to rubber-stamp something = etwas ohne vorherige Prüfung absegnen), und jeder einzelne Kandidat, der sich anschickt, einen republikanischen Amtsinhaber aus Washington zu vertreiben, verkündet, mit ihm werde das alles anders. Es sei „time for a change“. Die Botschaft kommt an – und auch wenn in einigen Wahlkämpfen andere Themen eine besondere Rolle spielen, von Stammzellenforschung bis Energiepolitik, so sind es doch Irakkrieg und das verspielte Vertrauen in den Kongress insgesamt, die jene Wechselstimmung begründen, die selbst schwache demokratische Kandidaten über die Ziellinie bringen könnte.

Nationale Umfragen sahen die Demokraten im Aufwind: Bis zu 15 Prozentpunkte lagen sie vor ihren republikanischen Konkurrenten. Doch in einem Wahlsystem, das keine Zweitstimmen und Listenwahlen kennt, sondern nur Direktkandidaten, sagen solche Umfragen nichts darüber aus, welche Kandidaten wirklich in den nächsten Kongress der Vereinigten Staaten einziehen. Und: Laut der jüngsten von ABC und Washington Post in Auftrag gegebenen Umfrage haben die Republikaner auch landesweit deutlich aufgeholt: Nur noch 51 zu 45 Prozent führten die Demokraten demnach am Wochenende gegenüber den Republikanern, und in einigen Schlüsselwahlkämpfen haben die republikanischen Kandidaten in den letzten Tagen deutlich aufgeholt, was vor allem der schon legendären Effektivität der von Karl Rove aufgebauten Wahlkampfmaschinerie geschuldet sein dürfte.

Dennoch zweifelt eigentlich niemand daran, dass die Demokraten im Repräsentantenhaus den Republikanern mindestens jene 15 Sitze abnehmen werden, die sie brauchen, um dort die Mehrheit zu gewinnen. 10 Übernahmen gelten als ganz sicher, 23 weitere als möglich. Manche Projektionen gehen sogar von einem Nettogewinn von bis zu 35 Sitzen aus. Immerhin sahen sich republikanische Amtsinhaber plötzlich auch in manchen Wahlkreisen bedrängt, die so traditionell republikanisch wählen, dass sie noch vor sechs Monaten niemand überhaupt als umkämpft angesehen hatte.

Erfolgreiche Schmutzkampagne

Doch im Senat, wo die Demokraten mindestens sechs Sitze hinzugewinnen müssten, um Mehrheitsfraktion zu werden, scheinen ihre Chancen zu schwinden. Als wahrscheinlich gilt, dass der konservative Senator Rick Santorum in Pennsylvania seinen Sitz an den demokratischen Herausforderer verlieren wird, ebenso wie sein republikanischer Kollege Mike DeWine aus Ohio. Fast begraben scheinen aber die Hoffnungen des demokratischen Abgeordneten Harold Ford, in Tennessee zum ersten schwarzen Senator aus dem Süden seit mehr als 100 Jahren gewählt zu werden. Eine rassistisch konnotierte Schmutzkampagne seines konservativen Konkurrenten Bob Corker hat hier so stark gezogen, dass der Senatssitz des republikanischen Mehrheitsführers Bill Frist, der wegen präsidentieller Ambitionen nicht wieder kandidiert, wohl in republikanischer Hand bleiben wird.

Auch im liberalen Rhode Island, wo es noch vor wenigen Wochen so aussah, als würde der moderate Republikaner Lincoln Chafee seinen Senatssitz an seinen Herausforderer Sheldon Whitehouse verlieren, haben sich die Umfragen gedreht. Völlig offen sind hingegen die Wahlausgänge in Virginia, Montana, Missouri und New Jersey.

Die Wahlnacht könnte lang werden. Nicht zuletzt das demokratische Misstrauen gegen republikanische Manipulationsversuche könnte bei besonders knappen Wahlausgängen erneut zu Anfechtungen und Neuauszählungen führen. Schon berichten die Medien über neue Probleme mit den elektronischen Wahlmaschinen – und rund ein Fünftel der Wählerschaft ist sich laut Umfragen nicht sicher, ob ihre Stimmen auch wirklich korrekt gezählt werden.

Die Demokraten wissen: Wenn sie es diesmal nicht schaffen sollten, wenigstens das Repräsentantenhaus zurückzugewinnen, dann ist ihnen nicht mehr zu helfen. Nach etlichen verlorenen Wahlen sind die Anhänger der Demokraten in den vergangenen Wochen in Hochstimmung gewesen. Doch die Angst sitzt tief, es wieder zu vermasseln. Als Anfang vergangener Woche ausgerechnet ihr ehemaliger Präsidentschaftskandidat John Kerry mit seinem verbockten Witz die Propagandamaschine der Republikaner anwarf, ergriff kurzzeitig ein Schock die demokratischen Wahlkämpfer. Der ist überwunden. Die Angst vor der ewigen Niederlage noch nicht.