Chile-Kracher

Fernando Gonzales demontiert bei den Australian Open Tommy Haas und erreicht das Finale gegen Roger Federer

MELBOURNE taz ■ Vorher hatte der Oberschiedsrichter die Akteure in der Kabine besucht und hatte sie darauf vorbereitet, dass es während der Partie ein ziemliches Geknalle geben würde – das traditionelle Feuerwerk zum nationalen Feiertag, dem Australia Day. Als das Feuerwerk wie geplant in den Himmel über Melbourne stieg, war das Spiel allerdings schon zu Ende. Für die Kracher hatte Fernando Gonzales, der bis dahin noch nie bis zum Feiertag im Turnier gewesen war, selbst gesorgt. Für den Finaleinzug benötigte er gestern nur 91 Minuten, in denen sein deutscher Gegner Tommy Haas ähnlich chancenlos war wie Andy Roddick am Tag vorher gegen Roger Federer. Begleitet von wummernden Bässen, die vom Fest aus der Stadt herüberschallten, gewann Gonzalez 6:1, 6:3, 6:1.

Vermutlich hätten Haas nicht mal die Feuerwehrleute und Lebensretter helfen können, die in einer Zeremonie vor Beginn der Partie in der Arena dabei gewesen waren. Kaum waren sie verschwunden, gewann Gonzalez die ersten elf Punkte der Partie, ehe ihm auch einer gelang, und so ging es weiter. Gonzalez gab den Federer, Haas musste sich mit Roddicks Rolle begnügen, und ein offensichtlicheres Déjà-vu-Erlebnis hat es im Tennis wohl selten gegeben. Mit dem einzigen Unterschied: Haas gewann zwar noch weniger Spiele als Roddick, war aber mit dem eigenen Beitrag nicht so unzufrieden wie der völlig erledigte Amerikaner tags zuvor. „Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht schlecht spiele. Aber alles, was er angefasst hat, das hat funktioniert.“

Was der 26-jährige Gonzalez im ersten großen Halbfinale seiner Karriere veranstaltete, eine feurige Kombination aller Schläge aus dem Buch der Tenniskunst, das führte zu einer kaum glaublichen Statistik: Im ersten und im dritten Satz leistete er sich nicht einen einzigen unerzwungenen Fehler, im zweiten auch nur deren drei. Und einer davon, meinte er hinterher grinsend, sei wirklich blöd gewesen. Diesen drei unerzwungenen Fehlern standen 42 so genannte winners gegenüber, und auf solche Werte könnte sogar der Meister Federer neidisch sein. Fernando Gonzalez nahm das Lob für seinen Auftritt ein wenig verlegen, aber auch stolz entgegen. Und angesprochen auf die Statistik, überzeugte er mit der gleichen Schlagfertigkeit wie auf dem Platz: „Es gab ja viele Jahre, in denen ich 42 unforced errors und drei winners hatte.“ Diese Jahre sind offensichtlich vorbei.

Haas war ein fairer Verlierer. Fiel es ihm leichter, die Niederlage hinzunehmen, weil er wusste, dass er nicht viel mehr hätte tun können? „Da muss man einfach sagen: Fernando hat unmenschliches Tennis gespielt. Das macht’s aber trotzdem nicht leichter.“ In den Stunden nach dem Spiel überwog die erste Enttäuschung, aber beim Rückblick auf das Turnier wird genug übrig bleiben. Vor allem eines: „Ich hab eines meiner großen Ziele erreicht, ich bin wieder Top Ten.“ Im November 2002 hatte er zum letzten Mal zur Elite des Welttennis gehört, ein paar Wochen später musste er die erste Schulteroperation über sich ergehen lassen. Diese Rückkehr zu den besten zehn seiner Zunft könne man gar nicht hoch genug einschätzen, meinte auch Teamchef Patrik Kühnen.

Tommy Haas packte seine Sachen und zog mit gemischten Gefühlen von dannen, die Welt des Tennis freut sich derweil auf das Finale. Wenn Roger Federer und Fernando Gonzalez am Sonntagabend in der Rod-Laver-Arena (bei uns Sonntagmorgen um 9.30 Uhr, Eurosport) genauso gut aufgelegt sind, wenn der eine also wieder mit Sternschnuppen jongliert und der andere sein eigenes Feuerwerk mitbringt, dann müsste das ein unvergessliches Erlebnis werden.

Aber da gibt auch eine vielsagende Statistik: In insgesamt neun Begegnungen mit dem Chilenen hat Federer bisher ganze zwei Sätze abgegeben, und allein im vergangenen Jahr hat er ihn vier Mal besiegt. Aber Gonzalez hat in Melbourne nicht nur sehenswerte Spiele, sondern auch Selbstbewusstsein gewonnen. „Er ist mit großem Abstand die Nummer eins der Welt, er ist Favorit, und ich habe oft gegen ihn verloren“, sagt er, „aber ich spiele jetzt viel besser.“ Man frage nur Tommy Haas. Doris Henkel