Französische Farbtupfer

Pünktlich vor dem heutigen WM-Spiel gegen den Titelfavoriten Frankreich wird Bundestrainer Heiner Brand größter Fan des übermächtigen Gegners. Oder doch nur zum Sepp Herberger des Handballs?

Das Formen einer Spitzenmannschaft während des Turniers ist für Heiner Brand immer noch ein Work in Progress

aus DORTMUND ANDREAS RÜTTENAUER

Heiner Brand lehnt sich zurück. Er bläst die Backen auf und pustet die Luft in seinen Bart. Er murmelt: „Was soll ich zu den Franzosen sagen. Natürlich sind die Favorit.“ Das Spiel gegen den Europameister am Samstag in Dortmund (16.30 Uhr, ARD) ist für den Trainer der deutschen Handballer so etwas wie der vierte Beginn der Weltmeisterschaft. Nach dem Eröffnungsspiel gegen Brasilien, dem entscheidenden Vorrundenspiel gegen Polen, dem sogenannten ersten Endspiel gegen Slowenien beginnt mit dem ersten Spiel gegen einen der großen Titelfavoriten das Turnier für die deutsche Mannschaft wieder einmal von vorne.

Brand schwärmt von den Franzosen. Er lobt sie über den grünen Klee, weil sie für jede Position beinahe zwei gleichwertige Spieler im Kader haben. Sollten seine Spieler da wirklich mithalten können? Brand macht den Eindruck, als könne er sich das nicht vorstellen. Mit dem klaren 35:28-Erfolg gegen Tunesien haben sich die Deutschen zwar ihrem ersten Ziel bei dieser WM, dem Einzug ins Viertelfinale, ein gutes Stück genähert. Allerdings hat auch dieser Sieg wieder einmal keine Klarheit darüber gebracht, wie weit die Mannschaft von Heiner Brand nun wirklich ist. Die schlapp wirkenden Nordafrikaner leisteten einfach zu wenig Gegenwehr. Während das Formen einer Spitzenmannschaft durch den Bundestrainer während des Turniers immer noch ein Work in Progress ist, gelten die Franzosen bereits als Gesamtkunstwerk.

Daniel Narcisse, der Rückraumspieler, der sich mit der Geschmeidigkeit eines Tänzers zu bewegen vermag, der wie kein Zweiter mit nur einer einzigen Körpertäuschung seine Gegenspieler zu narren versteht und dabei immer seine Mitspieler im Auge hat und sie präzise zu bedienen vermag, ist der wohl auffälligste Farbtupfer im französischen Oeuvre. Brand redet vor dem Spiel gegen die Franzosen wie ein Fan über den 27-Jährigen, der beim VfL Gummersbach unter Vertrag steht. „Viel besser kann man nicht spielen“, sagt der Trainer und erklärt, warum Narcisse so gefährlich ist, auch wenn er selbst nicht zum Abschluss kommt. „Der zieht immer zwei Verteidiger auf sich. Das schafft natürlich Räume.“

Dann nennt Brand noch einen Namen: Nikola Karabatic. Der ist erst 22 Jahre alt und gilt doch schon als einer der gefährlichsten Rückraumschützen der Welt. Mit Montpellier war er viermal französischer Meister, 2003 gewann er die Champions League mit Frankreichs Eliteklub. Mit der Nationalmannschaft holte er vergangenes Jahr in der Schweiz den Titel, war WM-Dritter 2003 und 2005. Seit eineinhalb Jahren spielt er beim THW Kiel. Der bullige junge Mann, der bei einer Körpergröße von 1,96 Metern 102 Kilo wiegt, steuerte zum Titelgewinn der Norddeutschen im letzten Jahr 226 Tore bei. Brand pustet wieder viel Luft in seinen Bart. „Der hat natürlich auch einen Hammer“, sagt er. Der deutsche Rückraum kann da nicht mithalten, auch wenn sich Brand über die Leistung von Christian Zeitz im Spiel gegen Tunesien gefreut hat. Der Kieler hatte zuvor doch arg enttäuscht, war „etwas wechselhaft“, wie Brand es ausdrückte. Nun gibt es auf der rechten Rückraumseite mit dem immer arg eigenwillig spielenden Zeitz und dem ganz anders, aber bislang ordentlich auftretenden Holger Glandorf eine echte Alternative.

Doch beide werden sich schwertun gegen eine der variabelsten Abwehrreihen der Welt. Die 3-2-1-Formation der Franzosen um den Defensivspezialisten Didier Dinart ist äußerst beweglich und überaus aggressiv. Ein ruhiger Spielaufbau, so wie er von Brand favorisiert wird, ist gegen die wuseligen französischen Verteidiger kaum möglich. Hier ist die Kreativität von Spielmacher Marcus Bauer gefragt. Auch die Lockerheit, zu der die deutsche Mannschaft in den letzten beiden Partien zurückgefunden hat, könnte dazu beitragen, dass das Spiel gegen die Franzosen nicht, wie bei Duellen dieser beiden Mannschaften schon so oft geschehen, in eine hässliche Handballschlacht ausartet. „Natürlich wollen wir gewinnen“, sagt Florian Kehrmann, der Rechtsaußen, „wir sind noch nicht satt.“ Er redet den nächsten Gegner nicht stark: „Erst galten die Franzosen als unschlagbar, dann verlieren sie gegen Island. Also, was soll das.“

Die 24:32-Niederlage des Europameisters im Vorrundenspiel gegen Island hatte Brand in seiner typisch oberlehrerhaften Diktion als „aus sporttheoretischen Erwägungen heraus“ für nicht erklärbar bezeichnet. Das 33:19 des Teams von Trainer Claude Onesta am Donnerstagabend gegen Slowenien hat Brand in seiner Auffassung bestätigt, dass die Deutschen im dritten Gruppenspiel nur Außenseiter sind. Will er gar nicht gewinnen, um die Kräfte für das Spiel gegen Island am Sonntag zu schonen? Kalkuliert er die Niederlage ein? Brand huscht ein Grinsen übers Gesicht. „Sepp Herberger lässt grüßen“, sagt er, bläht noch einmal seine Backen auf und schüttelt den Kopf.