Der Gestrige

Seine Taktik: verbaler Angriff, geordneter Rückzug.Nach der Devise „Ich sag’ ja nichts, ich mein’ ja nur“

AUS BERLIN MATTHIAS LOHRE

Diese Geschichte handelt von einem Mann und seiner Mission. Sie erzählt von Vertrauen, Ehrgeiz und Betrug. Es geht darin um den Kampf zwischen Links und Rechts und die Frage, was geblieben ist von diesen Fronten. Das klänge reichlich pathetisch, ginge es hier nicht um einen, der es ernst damit meint. Denn dies ist die Geschichte von Jörg Schönbohm, und sie neigt sich ihrem Ende zu.

An einem grauen Wintermorgen sitzt Jörg Schönbohm, 69, in einem Restaurant in Berlin-Kreuzberg und raucht Zigarillos. Der Mann mit den nach oben stürmenden Augenbrauen präsentiert sich den Passanten, er hat direkt hinter der großen Fensterfront Platz genommen. Draußen bleiben ab und an Vorübergehende trotz des Regens stehen, Ältere zumeist. Schönbohms Karriere als Landesparteichef endet in diesen Tagen, ein anderer wird nach acht Jahren neuer Vorsitzender der Christlich Demokratischen Union Brandenburg. Es ist ein Abmarsch auf Raten, Zeit für den Rückblick.

„Wenn es die deutsche Einheit nicht gegeben hätte“, sagt Schönbohm, „hätte ich meine Karriere wahrscheinlich als Nato-Oberbefehlshaber Europa-Mitte beendet. In einem Wasserschlösschen in Holland. Oder als Generalinspekteur der Bundeswehr. Die Einheit hat für mich alles geändert.“

Damals, 1990, wandelte sich der Bonner Ministerialbürokrat zum Chefabrüster der Nationalen Volksarmee. 90.000 Soldaten mussten entlassen oder in die Bundeswehr integriert werden, Kriegsgerät wurde verschrottet, übernommen oder verkauft. Die große Zeit des Befehlsgebers Schönbohm. Und als die turbulente Zeit endete, kam Eberhard Diepgen, Berlins Regierender CDU-Bürgermeister.

„Als mich Diepgen Ende 1995 als Innensenator nach Berlin holen wollte, fragte ich meine Familie“, sagt Schönbohm. Anekdoten erzählen kann er, am Ende steht immer eine Pointe. „Als ich meine Tochter um ihre Meinung bat, antwortete sie nur: ‚Ach, warum fragst du? Du machst es doch sowieso.‘“ Schönbohm lacht, seine frisch rasierten Wangen leuchten. Das ist der Mann, den er selbst gern in sich sieht und den andere lange in ihm gesehen haben: der trotzige Kraft- und Willensmensch.

Viele Jahre hat dem forschen Ex-General sein rotziger Ton genützt. Ende der 90er-Jahre etwa wollte er Zuwanderern eine vage deutsche „Leitkultur“ verordnen – die anschließende Diskussion lärmte über Jahre. Und als Berlins Innensenator polterte er: Wenn er am helllichten Tag durch Kreuzberg fahre, überfalle ihn der Verdacht, er sei nicht mehr in seiner Heimat. „Da befindet man sich nicht mehr in Deutschland.“ Mit solchen Sprüchen ist seit dem Sommer 2005 Schluss. Damals begann Schönbohms Abstieg.

Ausgerechnet im Bundestagswahlkampf schoss Brandenburgs Innenminister gegen die Wähler im Osten. „Für die Zunahme von Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft“ in seinem Land machte er „die vom SED-Regime erzwungene Proletarisierung verantwortlich“. Eine Brandenburgerin stand damals vor Gericht, weil sie neun ihrer Kinder getötet und in Blumenkübeln auf ihrem Balkon verscharrt hatte. In den Köpfen vieler Ostdeutscher blieb hängen: Schönbohm verachtet uns.

„Das ärgert mich bis heute“, sagt Schönbohm über den Tisch hinweg. „Die meiste Kritik ging vorbei an dem, was ich gesagt hatte.“ Später entschuldigte er sich. Jedoch nur für das „Missverständliche“ seiner Worte, nicht für die Äußerung selbst. Bis dahin hatte seine Taktik stets Erfolg gehabt: zuerst ein schneller verbaler Angriff, dann ein geordneter Rückzug. Nach der Devise „Ich sag‘ ja nichts, ich mein‘ ja nur“. Diesmal hatte er sich verrechnet.

Im Strudel der Proletarisierungsdebatte rang ihm sein Landesverband das Versprechen ab, nicht erneut als Vorsitzender anzutreten. Jetzt ist es soweit – heute endet die Zeit von Schönbohm als Parteichef. Er hinterlässt ein innerparteiliches Chaos. Nach der Rücktrittsankündigung hatte der starke Mann der märkischen Union wohl geglaubt, in eineinhalb Jahren könne er seine Nachfolge regeln. Doch nun ist nichts geregelt. Brandenburgs CDU ist dorthin zurückgekehrt, woher sie vor Schönbohms Machtübernahme Anfang 1999 gekommen war: ins Chaos. Niemand traut mehr dem anderen.

Seither wird ein neues Kapitel im politischen Leben Schönbohms geschrieben. Es ist die alte Geschichte von Vertrauen und Verrat. So empfindet zumindest Schönbohm das Verhalten seines politischen Ziehsohnes Sven Petke. Der CDU-Landeschef erkannte früh das politische Talent des gebürtigen Brandenburgers. Mentor Schönbohm machte ihn vor fünf Jahren zu seinem Vizevorsitzenden und 2004 zum Generalsekretär. Der heute 39-Jährige mit dem Harry-Potter-Gesicht schien die Zukunft der Brandenburger Union zu sein. Aus dem „19-Prozent-Loch“ wollte Petke seine Partei holen, sich Schönbohms Vertrauen würdig erweisen. Doch das Vertrauen zwischen den beiden Alphatieren ist zerbrochen, der Anlass dafür scheint banal. Er heißt „E-Mail-Affäre“.

Im September geriet Petke in den Verdacht, lange Zeit den E-Mail-Verkehr seiner Parteifreunde ausgespäht zu haben. Ein Ermittlungsverfahren verlief im märkischen Sand. Petke trat vom Generalsekretärsposten zurück – um am Tag darauf für den Landesvorsitz zu kandidieren. Seither kämpfen die Diadochen um Schönbohms Erbe. Die Fronten sind verhärtet. Die eine Hälfte der Partei hat Petke hinter sich geschart. Auf die andere Hälfte vertraut Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns, Schönbohms Favorit. Selbst Gegner bescheinigen dem 50-jährigen Junghanns großes fachliches Können. Das Problem ist nur: Selbst Freunde halten den früheren DDR-Bauernpartei-Funktionär für langweilig.

Das populäre Nachwuchstalent oder der biedere Fachmann – die Entscheidung droht die Partei nun zu zerreißen. Keiner der Kandidaten hat die Autorität, die verkrachten Christdemokraten zu einen. Und nur ein Sieg des biederen Junghanns sichert Schönbohm weitere zwei Jahre als Innenminister. Petke hingegen soll mit dem Gang in die Landtagsopposition liebäugeln. Schönbohms politisches Erbe droht zu zerfallen. Dabei hatte er mal große Pläne.

„Ich bin damals nach Brandenburg gegangen, damit das Land mit dem DDR-Erbe fertig wird, sich zu einer westlich geprägten Zivilgesellschaft entwickelt“, sagt Schönbohm mit Blick aus dem Fenster. Er meint das ernst. Was immer man vom kleinen, wütenden Ex-General halten mag – er ist ein Überzeugungstäter. Kein Meinungs-Chamäleon wie die großen Jungs Roland Pofalla oder Volker Kauder.

An dieser Stelle kommt der alte Gegensatz von Links und Rechts ins Spiel. Und die Frage: Was wird bleiben von einem CDU-Rechten, der bei einer Tasse Kaffee ruhig Sätze sagt wie „Der Krebsschaden unserer Gesellschaft ist die Political Correctness“?

Vieles von ihm wird bleiben. Gerade weil sich ein erklärter 68er-Hasser wie Schönbohm politisch überlebt hat. „Vor zehn Jahren war ich noch der große Provokateur, als ich Deutschkurse für Migranten zur Pflicht machen wollte“, sagt er und schüttelt den Kopf. Heute fordert selbst der Bundespräsident mehr „Integrationsbereitschaft“ von Migranten, unter anderem, Deutsch zu lernen. Die Pofallas und Kauders haben ihre schwarz-rot-goldene Fahne in den Wind gehängt, die Wertkonservativen-Attitüde sparen sie sich. Und das ist das Schlimme für Jörg Schönbohm. Draußen bleibt ein altes Paar stehen und blickt den Mann im dunkelblauen Anzug an wie ein seltenes Tier im Zoo.

Der Ex-Bataillonskommandeur braucht Provokation, um sich lebendig zu fühlen. Den klar erkennbaren Feind. Während des Kalten Krieges waren das die Kommunisten, nach dem Mauerfall die gewendeten PDS-Leute. „Mir wird anders, wenn mir ein Ex-SED-Mann im Potsdamer Landtag heute sagen will, wie Demokratie funktioniert.“ Solche Sätze hat er auch an trüben Wintermorgen im Café parat wie sein silbernes Zigarillo-Etui.

Seit der Aufregung über seine Proletarisierungsworte übt Schönbohm, dieses Etui öfter mal geschlossen zu halten. Erst im Dezember 2006 verteidigte der harte Hund den moderaten Bundeskompromiss über das Bleiberecht für ausreisepflichtige, aber geduldete Ausländer, als sei er von der SPD. Der Minister handelt oft anders, als die Medienfigur spricht – das räumen selbst Menschen ein, die nicht im Verdacht stehen, den Mann mit dem Kasernenhofton zu lieben.

„Schönbohm ist immer sehr korrekt“, urteilt Hans-Jürgen Scharfenberg. Der 52-Jährige sitzt für die Linkspartei in Potsdamer Landtag und kennt den Minister gut aus dem Innenausschuss. „Er sagt immer offen, was er will.“ Und dann sagt er einen Satz, den man von einem Ex-SED-Mitglied wirklich nicht erwartet: „Manchmal ist er zu Unrecht gescholten worden. Weil Schönbohm nun mal Schönbohm ist.“

Doch bevor Freund oder Feind in ihm den Liberalen entdecken könnten, wartet der Minister mit obrigkeitsstaatlichen Entscheidungen auf. Nur zwei Tage nach seinen liberalen Bleiberechtsäußerungen verabschiedete Brandenburgs Landtag ein neues Polizeigesetz, Lauschangriff auf Wohnungen und Telefone inklusive. Es ist eines der rigidesten Gesetze deutschlandweit.

Das Krachlederne dieses preußischen Franz-Josef Strauß, der den verstorbenen Publizisten Joachim Fest einen Freund nennt und zugleich den „Mann von der Straße“ als Kronzeuge für sein Tun bemüht, gerät außer Mode. Der letzte Beweis dafür wurde erst kürzlich in Dresden erbracht. Als die Bundes-CDU ihr Präsidium neu wählte, gab es einen Kandidaten zu viel. Der Parteitag geriet zum Duell zwischen dem liberalen Neu-Berliner Friedbert Pflüger und dem Brandenburger Schönbohm. Die Union werde ihren rechten Rand nicht brüskieren, war der sich sicher. Aber Schönbohm fiel durch. Der Focus beklagte wenig später das Schicksal der „heimatlosen Schwarzen“. Schönbohm war natürlich darunter, etikettiert als „konserviert und endgelagert“ in Brandenburg.

Was bleibt? „Vieles ist geschafft in Brandenburg“, sagt Schönbohm zufrieden. „Die Kommunalreform hat aus fast 1.500 Gemeinden 420 gemacht. Das muss man erstmal durchsetzen!“ Der Vater dreier Kinder will jetzt wieder mehr lesen, Freunde treffen. Draußen bleibt ein kleiner, alter Müllmann mit seinem Karren stehen. Der Mann in Orange hat Schönbohm erkannt und wedelt stumm mit den Händen. Es ist nicht ganz klar: Will er ihn grüßen oder verscheuchen? Schönbohm hebt lachend die Hand mit dem Zigarillo. „Ja, ja“, sagt er, „ich bin ja bald weg.“