Keine Fehler und kein Pardon

Als die Einreisesperre gegen den Guantánamo-Häftling Kurnaz verhängt wurde, war Steinmeier dabei. Dennoch hat er sich „nichts vorzuwerfen“

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Täglich muss er neue Vorwürfe in den Zeitungen lesen, vernichtende Kommentare und Rücktrittsforderungen. Auch auf Reisen wird Frank-Walter Steinmeier nach Murat Kurnaz gefragt. Die Opposition stellt die Handlungsfähigkeit des Außenministers in Frage.

Ein Politiker, der dermaßen in Bedrängnis gerät, hat verschiedene Möglichkeiten. Er kann Fehler einräumen und die Verantwortung dafür übernehmen – in der Hoffnung, dass ihm trotzdem der Rücktritt erspart bleibt. Diesen Weg wählte Ex-Minister Joschka Fischer. „Schreiben Sie rein: Fischer ist Schuld“, sagte der Grüne 2005 im Visa-Untersuchungsausschuss – und blieb im Amt. Steinmeier hat sich für einen anderen Weg entschieden. Der SPD-Politiker weist alle Vorwürfe strikt zurück, Fehler streitet er ab. Auf die Frage, ob es nicht an der Zeit wäre, sich bei dem 24-jährigen Kurnaz zu entschuldigen, der vier Jahre unschuldig in Guantánamo saß, sagte Steinmeier der Bild: „Wir haben damals im Kanzleramt nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt – und haben uns heute nichts vorzuwerfen.“

Nichts.

Das ist, angesichts der zahlreichen Akten, die eine rigorose Abwehrhaltung in der rot-grünen Machtzentrale gegen Kurnaz dokumentieren, eine bemerkenswerte Festlegung.

Ob es angemessen war, ausgerechnet Bild das erste Interview zum Schicksal des Folteropfers Kurnaz zu geben, ist hingegen eine Geschmacksfrage. Das Blut- und Sperma-Blatt hatte in den letzten Tagen erörtert, warum die DEUTSCHE Regierung eigentlich für diesen TÜRKEN zuständig sei und Kurnaz erneut als „Bremer Taliban“ bezeichnet.

Politisch geht es um Steinmeiers Verhalten im Fall Kurnaz, das er spätestens im März im Untersuchungsausschuss ausführlicher erklären muss – und da lassen Äußerungen von Unionspolitikern wenig Gutes für den Minister erahnen. Steinmeiers Aussage, er kenne „kein offizielles Angebot“ der USA, Kurnaz freizulassen, dürfte ihm kaum helfen. „Wir müssen der Frage nachgehen, ob es eine Offensivstrategie gegeben hat, Kurnaz’ Einreise zu verhindern. Das wäre unabhängig von einem etwaigen US-Angebot aus meiner Sicht verwerflich“, sagte der CDU-Ausschuss-Obmann Hermann Gröhe gestern der taz. Der Sprecher des Außenministers wiederum bestritt gestern nicht mehr, dass 2002 in Steinmeiers Anwesenheit eine „Einreisesperre“ beschlossen wurde. Kurnaz blieb weitere vier Jahre in Kuba.

Steinmeiers Problem ist, dass er, anders als Fischer, keine Fehler zugeben kann. In der Visa-Affäre blieben die Vorwürfe abstrakt. Niemand kannte ein Opfer von Fischers Politik. Kurnaz dagegen hat ein Schicksal hinter sich, das viele erschüttert – und an dem der heutige Außenminister direkt beteiligt war.