Furcht einflößendes Leben

Kurz vor dem Rückzug in die frisch sanierte Deutsche Rhein-Oper schafft es Robert Carsen mit Giorgio Battistellis „Richard III“, auch einmal das Provisorium am Düsseldorfer Landtag sinnvoll zu bespielen

VON REGINE MÜLLER

Fast ein Jahr steht das Provisorium der Düsseldorfer Rheinoper schon neben dem Landtag. Es hat sogar dem Orkan Kyrill tapfer getrotzt. Dennoch scheiden sich nach wie vor die Geister am RheinOperMobil, kurz ROM genannt. Die einen schätzen die Nähe zum Geschehen und das pure, unverstellte Theatererlebnis in dem nach dem Vorbild des elisabethanischen Globe-Theaters erbauten Raum. Die anderen vermissen dort die Theaterillusion und die Bühnentechnik und bemängeln die trockene Akustik.

Tatsächlich ist der karge Raum nicht eben leicht zu bespielen und ergo glückten in ihm nicht alle Repertoire-Adaptionen. Selbst die eigens für die ROM konzipierten Produktionen stimmten nicht rundherum zufrieden und wirkten bisweilen unfreiwillig reduziert. Doch jetzt, nur zwei Monate vor Abschluss der Sanierungsarbeiten am Stammhaus, scheint die Provisorium mit Giorgio Battistellis „Richard III“ ganz zu sich gekommen zu sein. Dabei ist die deutsche Erstaufführung keine Originalproduktion, sondern eine Übernahme aus Antwerpen, wo vor knapp zwei Jahren die Uraufführung auf einer normalen Opernbühne stattfand.

Robert Carsens virtuose und packende Regie wirkt in Düsseldorf wie genau für den schwierigen Raum gemacht. Man könnte sogar meinen, die ROM sei eigens für diesen Abend gebaut: Mit unheimlicher Logik und Präzision füllt Carsen jeden Winkel mit düster wimmelndem, Furcht einflößendem Leben. Der zeitgenössische Komponist Giorgio Battistelli ist an der Rheinoper bekannt. Bereits in der Spielzeit 1997/98 war er dort „Composer in Residence“ und brachte die „Orchersterprobe“ nach Fellinis Film und die Geräuschkomposition „Experimentum Mundi“ heraus. Battistelli, der als Vertreter der mittleren Generation der italienischen Komponisten als vitaler Antipode des konservativen Salvatore Sciarrino bezeichnet werden darf, hat zu Shakespeares blutigstem Königsdrama eine großflächige, im besten Sinne des Wortes opernhafte Musik geschrieben, die dem Drama nicht ausweicht, sondern mit großer Pranke kraftvoll zupackt. Das üppig mit Schlagwerk besetzte Orchester schildert Mord und Schlachtgemetzel brachial, ungeschönt, doch ohne die Gloriole der Heldenverklärung.

Im Kontrast zu den martialischen Passagen stehen ruhige Litaneigesänge als Totenklagen für die zahllosen Opfer. Nicht umsonst mahnt die hemmungslose Machtobsession des Protagonisten und die Korruption aller durch sie von ferne an die „Ring“-Thematik Richard Wagners. Auch in Battistellis Partitur gibt es Passagen, die an die schwärzesten Momente der Tetralogie erinnern. Aber auch Alltagsgeräusche und dunkle Urlaute entlockt der fabelhaft vorbereitete und souverän lenkende Wen-Pin Chien am Pult den versiert spielenden Düsseldorfer Symphonikern.

Bühnenbildner Radu Borozescu hat die Wände der ROM mit rostigem Wellblech verkleidet und die Bühne mit rotem Sand bedeckt. Nur ein paar Requisiten kommen ins Spiel. Die von Miruna Boruzescu in einheitliche schwarze Anzüge gesteckten Figuren kreisen in einer zeitlos aktuellen Hölle um das personifizierte Böse in Gestalt des Titelhelden. Carsens messerscharfe Regie nutzt die Stilmittel des epischen Theaters, um Shakespeares Drama auf beklemmende Weise zu aktualisieren. Trotz extrem reduzierter Mittel findet Carsen starke Bilder, die das ungeheuerliche Geschehen verblüffend plausibel erscheinen lassen. Mit der Logik eines Albtraums freilich.

Aufstieg und Fall des Despoten, den John Wegner eisig zeichnet, säumen eine Fülle von Figuren, denen ein langes Bühnenleben nicht vergönnt ist. Richard räumt sie um des eigenen Aufstiegs willen systematisch und ohne viel Aufhebens aus dem Weg. Der Blutsand spritzt im Zehnminutentakt, bis den Bösewicht schließlich die Schatten der Vergangenheit einholen. Wegner, der um sein Leben spielt und singt und sich selbst übertrifft, gibt dem skrupellosen König zynische, doch auch charismatische Züge. Ein bodenloser Charakter, den die eigene innere Leere anzutreiben scheint und der letztlich ohne Sinn und Zweck mordet. Motiv unklar – eine sehr heutige Diagnose. Eine fabelhafte Leistung des Ensembles. Ein Atem beraubender Theaterabend.

Nächste Chance: 30.01., 19:30 UhrInfos: 0211-8925211