Polnischer Stehaufminister

Eigentlich hatten die Polen ihren Außenminister Radoslaw Sikorski schon abgeschrieben. Dass er in Brüssel nun doch wieder als heißer Kandidat für die Nachfolge der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton gehandelt wird, ist für viele die Sensation des Tages. Da kann man also bei einem Mittagessen das durchschnittliche Monatseinkommen eines Polen auf Staatskosten verprassen, dem befreundeten Exminister einen Botschafterposten in Paris antragen, die Beziehung zur USA ins Lächerliche ziehen – und wird dann zur Belohnung auch noch EU-Außenminister?

Sikorski ist Opfer eine illegalen Abhöraktion geworden, die sich gegen hochrangige Politiker, Unternehmer und Manager richtete. Noch ist nicht klar, wer Auftraggeber war. Nur die Kellner gaben bereits zu, Aufnahmegeräte in VIP-Räumen platziert zu haben. Sikorski soll dem Exfinanzminister Jacek Rostowski laut der Illustrierten Wprost gesagt haben: „Das polnisch-amerikanische Bündnis ist nutzlos, sogar schädlich, weil es den Polen ein falsches Gefühl der Sicherheit gibt.“ Das sei „totaler Bullshit“. Polen zerstreite sich mit den Deutschen und den Russen, „und wir tun so, als sei alles super, weil wir den Amerikanern einen geblasen haben!“ Die Polen seien „Verlierer, totale Verlierer.“

Auf der Politiker-Sympathieskala ist Sikorski nach Veröffentlichung dieses illegal abgehörten Gesprächs und der horrenden Restaurantrechnung in Höhe von über 300 Euro auf 35 Prozent abgesackt. Vorher lag er mit 50 Prozent an zweiter Stelle nach Staatspräsident Bronislaw Komorowski (74 Prozent) und sogar noch vor Premier Donald Tusk (37 Prozent).

Beeindruckend fanden die Polen bislang seinen „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Aufstieg. Wie kein anderer verkörperte er den amerikanischen Traum vom Arbeitersohn, der es durch Ehrgeiz, Studium und harte Arbeit an die Spitze der Gesellschaft geschafft hatte. Als Abiturient hatte er aufgrund seiner guten Englisch-Noten ein Stipendium in England bekommen. Als im Dezember 1981 der Kriegszustand in Polen ausgerufen wurden, konnte er nicht zurück, bekam ein weiteres Stipendium und studierte in Oxford. Später jobbt er als Kriegsjournalist für englischsprachige Zeitungen, war in Afghanistan und gewann einen prestigeträchtigen Preis für eines seiner Kriegsfotos.

Kurz vor seiner Rückkehr nach Polen schickte er das Ersparte nach Hause. Sein Vater kaufte dafür die Ruine eines Herrenhauses bei Bydgoszcz (Bromberg), das die Familie in jahrelanger Eigenarbeit restaurierte. Heute soll das „Schloss“ umgerechnet eine Million Euro wert sein. Seine Frau Anne Applebaum ist Pulitzer-Preis-Gewinnerin und eine gefragte Kommentatorin.

GABRIELE LESSER