Dieselbe Prozedur

Der HSV leidet immer noch an der Krankheit der Hinrunde: Mit einer 1:0 Führung geben die Spieler sich zufrieden – oder haben sie einfach nur Angst? In Bielefeld reichte es mal wieder nicht zum Sieg

Von Frank Hellmann

Es war ein stimmiges Bild, das die Bielefelder Arminia nach dem Schlusspfiff bot. Torwart Matthias Hain initiierte einen großen Kreis, und hielt mit geballter Faust eine Rede. Die gesamte Gruppe klatschte Applaus. Obwohl der Inhalt geheim bleiben sollte, kam heraus, was Hain gesagt hatte: Alle säßen nach dem feststehenden Abgang von Trainer Thomas von Heesen in einem Boot, gemeinsam steuere man in Richtung Klassenerhalt.

Der eine oder andere Hamburger, der sich gerade auf dem zerfurchten Rasen verlor, hat da am Samstagnachmittag ein bisschen verdutzt in die geeinte Bielefelder Runde geblickt. Und wird sich gedacht haben: So sieht das also aus, wenn alle für ein Ziel einstehen. Beim HSV sind solche Signale nur schwerlich zu erkennen, was aber auch schon daran lag, dass der 1:1-Ausgleich durch den Kopfball von Marcio Borges in der 89. Minute fiel. „Verdient“, wie alle Hanseaten einräumten – aber eben auch fatal. „Der Ball ist 40 Meter in der Luft und dann ist das Zentrum nicht kompakt genug“, schimpfte Trainer Thomas Doll.

Der Hamburger SV hat zwar nur eine Niederlage mehr als der FC Bayern kassiert, steht aber dennoch nur dank der besseren Tordifferenz nicht auf dem letzten Platz. „Mit den ganzen Unentschieden kommen wir da unten nicht raus“, knurrte Doll nach der elften Punkteteilung. „Ein Fortschritt war das nicht“, gab auch Doll zu, „wir dürfen uns jetzt nicht einbuddeln.“ Der 40-Jährige hat wenigstens seinen zur Schau getragenen Optimismus wiedergewonnen. Vielleicht ahnt er auch nur, dass seine Leiden endlich sind. Unverhohlen hat Vorstandsboss Bernd Hoffmann schließlich gesagt, vier Punkte aus den ersten drei Rückrundenspielen seien „ihm zu wenig“. Will im Umkehrschluss heißen: Am Mittwoch im Heimspiel gegen Energie Cottbus und am Samstag darauf bei Hertha BSC ist nicht nur verlieren verboten, sondern auch, unentschieden zu spielen. „Wir müssen die Köpfe frei bekommen“, verlangt Doll.

Aber wie soll das gelingen? Der Ex-Bielefelder Bastian Reinhardt kann sich nicht daran erinnern, je solch einen Negativlauf erlebt zu haben, „nicht einmal als wir mit der Arminia abgestiegen sind“. Es klang fatalistisch, als er feststellte: „Es ist schwer zu glauben, dass der Fußball-Gott auf unserer Seite ist.“ Und als der völlig konsternierte Ersatzkapitän David Jarolim nach dem Abpfiff im Anstoßkreis kauerte, trug auch diese Szene Züge einer Endzeitstimmung.

In der langen Vorbereitung scheint der überschätzte Kader nicht weit gekommen zu sein – und weder der von Doll vorschnell in die Anfangself gehievte Juan Pablo Sorín noch Nigel de Jong sind angesichts eklatanter körperlicher Defizite eine Hilfe. Die einzige vermeintliche Verstärkung – Torwart Frank Rost – erhielt in Ostwestfalen keine Gelegenheit, seine sportliche Klasse zu offenbaren. Dafür hielt der 33-Jährige hinterher eine seiner Wutreden, die ihm auf Schalke nicht nur Freunde gebracht haben. Ihn nerve das Gefasel und Gequatsche, wütete Rost. Und: „Wir müssen den ganzen Rotz von der zweiten Liga vergessen. Ja und? Wenn’s passiert? Dann steigen wir halt ab!“ Die Frage, ob man denn jetzt gegen Cottbus gewinnen werde, führte zur nächsten verbalen Eruption: „Cottbus ist Favorit. Im Moment ist jeder gegen uns Favorit.“

Hinterher erklärte der Tormann immerhin sachlicher, was ihm beim neuen Arbeitgeber so störe: „Umso länger das Spiel dauert, desto weiter lassen wir uns hinten reindrängen.“ Zuvorderst sei wichtig, „Spaß und Freude zu vermitteln – Fußball ist doch nur ein Spiel.“

Mit der Frage, ob dieses Spiel an der Elbe bald nur noch zweitklassig betrieben wird, hat sich Rosts Vordermann Reinhardt schon beschäftigt. Ob er dann nicht lieber wieder für die Arminia auflaufen würde, wurde der Verteidiger gefragt und versprach daraufhin: „Wenn es so weit kommen sollte, bin ich einer der wenigen, die dann noch da sind.“ Immerhin.