Ein IM zur rechten Zeit

Der organisierte Sport in Deutschland will seine Funktionsträger weiterhin auf Mitarbeit bei der Staatssicherheit überprüfen und mischt in der Debatte um das neue Stasiunterlagen-Gesetz mit

AUS BERLIN ANDREAS RÜTTENAUER

Für die einen ist es ein Skandal, für die anderen ist es ein Schritt auf dem Weg zur rechtsstaatlichen Normalisierung. Es geht um die Novellierung des Stasiunterlagen-Gesetzes. Die einen befürchten die völlige Exkulpierung aller, die durch ihre Stasitätigkeit am Funktionieren des DDR-Systems mitgewirkt haben. Die anderen führen gerne das Beispiel vom Pförtner an, der nicht vom Arbeitsleben ferngehalten werden dürfe, weil er vor mehr als 15 Jahren Stasizuträger war. Es geht also um die Überprüfung von Mitarbeitern bei den Stasiunterlagen-Behörden vor einer Einstellung. Die sollte es nach dem Gesetzesentwurf, der gestern von der Koalition gestoppt wurde, nicht mehr geben. Es ist eine emotionale Debatte, die da geführt wird. Und sie wird auch im Sport geführt. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) will, dass ureigene Belange in einem neuen Gesetz berücksichtigt werden. Im Sport, so fordert der Generaldirektor des DOSB, Michael Vesper, soll eine Überprüfung von Funktionsträgern, Trainern und Kadersportlern auch weiterhin möglich sein. Heute befasst sich der Sportausschuss des Bundestags mit dem Thema.

Rechtzeitig zur Ausschusssitzung veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Artikel des Sporthistorikers Giselher Spitzer, in dem dieser seine neuesten Erkenntnisse zur Stasimitarbeit von Siegfried Kirschen vorstellte. Der war einst einer der erfolgreichsten Schiedsrichter in der DDR und ist heute Präsident des Landesfußballverbandes Brandenburg. Unter dem Decknamen „Friedrich“ soll er Informationen über seine Umwelt an die Stasi weitergegeben haben. Spitzer reiht sich mit seinem Artikel in die Riege derjenigen ein, die laut „Skandal!“ rufen, weil sie sich mit dem geplanten Gesetz nicht anfreunden konnten. Er behauptet, eine Nachricht wie die von Kirschens Stasitätigkeit wäre nicht möglich gewesen, wäre es zur Novellierung des Gesetzes gekommen. Dabei müsste er es eigentlich besser wissen. Historikern und Journalisten sollte der Zugang zu den Akten sogar erleichtert werden. Stasifälle, auch solche im Sport, werden also auch weiterhin an die Öffentlichkeit geraten.

Vesper benutzt den Fall Kirschen nun, um seine Forderung nach einer Sonderregelung für den Sport zu untermauern. Der DOSB präsentiert sich als Speerspitze im Kampf gegen alte Stasikader. Nachdem sich der vereinigte Sport in den Jahren kurz nach der Wende gerne mit Federn auch verdächtiger Sportler und Trainer geschmückt hat, präsentiert sich der DOSB nun von einer anderen Seite.

Seine Argumente dürften dazu beigetragen haben, dass das umstrittene Vorhaben nun gestoppt wurde. Wolfgang Börnsen (CDU) hatte sich am Rande einer Anhörung zum Stasiunterlagen-Gesetz im Kultur- und Medienausschuss des Bundestages bereits im Sinne des DOSB geäußert. Er will, dass deutsche Olympiadelegationen weiterhin überprüft werden. Auch er trägt das Mantra der Stasijäger vor: „Es darf keinen Schlussstrich geben.“

Der sächsische Landesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Michael Beleites, will das natürlich auch nicht. Durch gezielte historische Forschung, so seine Auffassung, sollen die Mechanismen des DDR-Staates deutlich werden. Regelüberprüfungen, wie es sie bisher gab, seien für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte von nachrangiger Bedeutung. Damit steht er in krassem Widerspruch zu seiner Kollegin in Thüringen, Hildigund Neubert, die das abgeblasene Gesetzesvorhaben strikt abgelehnt hat. Es ist offensichtlich: Der Sport befindet sich in einem politisch brisanten Spannungsfeld. Er hat eindeutig Position bezogen. Mit seinem gegenwärtigen Aktionismus könnte es ihm gelingen, von Versäumnissen in der Vergangenheit abzulenken. Mehr als ein erwünschter Nebeneffekt.

Fußballfunktionär Siegfried Kirschen alias „IM Friedrich“ hat übrigens angemerkt, er sei Mitte der 90er überprüft worden. Herausgekommen sei dabei nichts. Dennoch ist der Exreferee zum Stasifall geworden. Der Sport hat zu dessen Aufklärung nichts beigetragen.