Libyen im Chaos: Wo ist Gaddafi?

ARABISCHE REVOLUTION In Libyen herrscht Bürgerkrieg. Regimegegner kontrollieren zweitgrößte Stadt, Kämpfe auch in der Hauptstadt, vermutlich hunderte Tote

TRIPOLIS/KAIRO rtr/afp/taz | Der Volksaufstand in Libyen entwickelt sich zum Bürgerkrieg. Gegner des Regimes von Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi haben unterschiedlichen Berichten zufolge mehrere Städte unter ihre Kontrolle gebracht. Gaddafis Sicherheitskräfte seien im Begriff, sich aus der Hauptstadt Tripolis zurückzuziehen, wo mehrere öffentliche Gebäude von Aufständischen angezündet worden seien, meldete am Nachmittag die Webseite medialibre.

Aus der zweitgrößten Stadt Bengasi wurden Fotos von Demonstranten gezeigt, die von Hausdächern die rot-schwarz-grüne Flagge der 1969 von Gaddafi gestürzten libyschen Monarchie schwenkten. Bengasi soll sich ebenso wie weitere ostlibysche Städte in den Händen der Opposition befinden.

Oppositionelle hätten die Waffenbestände des Polizeihauptquartiers von Bengasi an sich genommen, so ein Bericht auf der Internetseite der ägyptischen Zeitung al-Ahram, der sich auf zahlreiche Augenzeugen beruft. Das Militär habe sich auf die Seite der Aufständischen geschlagen. Im Hauptquartier sollen dreizehn Uniformierte gefunden worden sein, die mit Kopfschüssen hingerichtet und dann angezündet wurden. Gestern habe es Freudenfeiern auf Bengasis Straßen gegeben. Zwei libysche Kampfflugzeuge landeten am Abend auf Malta. Die Piloten sollen aus Bengasi geflüchtet sein und baten um Treibstoff.

In Tripolis setzten Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften auf dem zentralen Grünen Platz am Sonntagabend ein, während Gaddafi-Sohn Seif al-Islam in einer Fernsehansprache drohte, bis zum Ende zu kämpfen. „Wir sind nicht Tunesien und Ägypten“, sagte er. „Unser Führer führt die Schlacht in Tripolis, und wir werden siegen.“ Allein am Sonntag wurden in Tripolis nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen 60 Menschen getötet.

Gaddafi soll auf dem Weg nach Venezuela sein

Der Aufenthaltsort Gaddafis war gestern unbekannt. Der britische Außenminister Hague sagte, möglicherweise befinde sich der libysche Führer auf dem Weg nach Venezuela. Im Internet kursierte ein Video, das einen Konvoi von Polizei- und Militärfahrzeugen zeigt, der eine schnurgerade Teerstraße durch die Wüste entlangrast. Dies soll die Flucht des Präsidenten in die südliche Stadt Sebha darstellen, heißt es.

Menschenrechtsgruppen schätzten die Zahl der Toten auf 400. Der libysche Justizminister Mustafa Abdul-Dschalil trat aus Protest gegen den „exzessiven Einsatz von Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten“ zurück.

Die EU-Außenminister verurteilten die blutige Gewalt in Libyen scharf. Auf Sanktionen mochte sich das Gremium jedoch nicht einigen. Auch die Bundesregierung kritisierte das Vorgehen der libyschen Sicherheitskräfte. Internationale Konzerne, die in Libyen tätig sind, brachten Mitarbeiter außer Landes. D. J.

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