Unfrieden in der Friedenskirche

Nach einem erbitterten Konflikt trennten sich Friedensgemeinde und ihr Kantor Stefan Reiß. Über hundert Sänger des Kinderchores halten ihm die Treue – außerhalb der Gemeinde

von Klaus Wolschner

Für Samstag Abend lädt die Friedenskirche zu einem außerordentlich spannenden Konzertereignis ein: Zur Erinnerung an den Prager Jugendlichen Petr Ginz, der in Auschwitz ermordet wurde und dessen Tagebücher aus dem Prager Ghetto vor wenigen Jahren gefunden und veröffentlicht worden waren, singt der Jugendchor der Gemeinde zusammen mit einem Chor aus Prag „in Memoriam Petr Ginz“, eine Klangcollage über den 22. Psalm „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“.

Das Konzert leitet der junge Musiker Stefan Reiß, er hat auch das Stück komponiert – und es ist sein vorerst letzter Auftritt in der Friedenskirche. Denn in einem erbitterten Streit haben sich Gemeinde und Kantor getrennt, versöhnliche Töne sind derzeit keine zu vernehmen. „Das ist nicht der Chor der Friedensgemeinde“, der da auftrete, sagt der verwaltende Bauherr Henry Meyer.

Die jugendlichen SängerInnen und ihre Eltern haben daraus ihre eigenen Konsequenzen gezogen. Sie wollen weiter mit „ihrem“ Kantor singen, gründeten den Verein „Kinder- und Jugendchor im Viertel e.V.“ – und haben mit Reiß die Institution Friedensgemeinde vor drei Wochen verlassen. Andere Gäste sind in den Räumen der durchaus weltoffenen Friedensgemeinde gern gesehen. Nicht aber Stefan Reiß. Der Weihnachtsgottesdienst war der letzte Auftritt des Kinderchores dort.

Was den Konflikt in den letzten Jahren so unversöhnlich eskalieren ließ, ist für Außenstehende so schwer nachvollziehbar wie ein Ehestreit. „Ich habe als Kantor bei der Friedensgemeinde gearbeitet, weil ich von der sozialpolitisch verwurzelten Theologie von Pfarrer Bernd Klingbeil-Jahr so beeindruckt war“, sagt Reiß. Obwohl er damals „kurz davor war, aus der Kirche auszutreten“. Und: „Meine Musik spiegelt das, was er predigt.“

„Musikalisch einzigartig“ sei die Arbeit von Reiß, sagt die Kinderchor-Mutter Almuth Thye, „ein pädagogisches Talent“, die Kinder fühlten sich „richtig ernst genommen“ und blieben, ungewöhnlich genug, auch im Pubertätsalter dem Chorsingen treu. Deswegen hat Thye mit anderen Eltern, die sich der Friedensgemeinde verbunden fühlen, den Verein gegründet. Sie wollte vermitteln und erreichen, dass der Chor mit ihren Kindern in ihrer Friedenskirche weiter auftreten kann. Der Gemeindevorstand lehnte kategorisch ab.

„Ein hervorragender Musiker“, sagt auch Kirchenvorstand Henry Meyer über Reiß, irgendwann aber sei dieser mit dem Pastor nicht mehr klargekommen. Und der Pastor nicht mit ihm. Versöhnung? Fehlanzeige. „Im letzten Herbst hat Reiß gesagt, er hält das nicht mehr aus, und hat gekündigt“, berichtet Meyer. Pfarrer Bernd Klingbeil-Jahr war gestern nicht zu erreichen.

Das ambitionierte Petr Ginz-Projekt, typisch für den Chorleiter und Musiker Reiß, war vor dem großen Krach vereinbart: Am Freitag (19 Uhr) wird der Prager Jugendchor zusammen mit den Jugendlichen der Friedensgemeinde, die sich nicht mehr Chor der Friedensgemeinde nennen dürfen, die Kantate „In Memoriam Petr Ginz“ im Gemeindesaal von St. Ansgarii uraufführen, am Samstag (20 Uhr) dann in der Friedensgemeinde, am Sonntag 16 Uhr in der Gemeinde Bockhorn. Im Mai starten die Bremer Jugendlichen zum Gegenbesuch nach Prag. Und bis zum 15. Februar ist auch noch die Ausstellung zu Petr Ginz in den Räumen der Friedensgemeinde in der Humboldstraße zu sehen.