NUR IM TRAUERFALL: Drei Kreuze
Der Grund, der mich mehrere Male nach Lichterfelde Ost führte, war ein trauriger. Der Ehemann einer Freundin aus Bonn war gestorben, und während sie ihn unter die Erde bringen musste, kümmerte ich mich um die Auflösung der kleinen Zweitwohnung in Berlin.
Ich lief durch die triste Lankwitzer Straße, vorbei an Supermärkten, Imbissbuden und dem „Futterhaus“, einem Fachgeschäft für Tiernahrung und -bedarf. Lichterfelde West, das älteste Villenviertel der Stadt, schien Lichtjahre entfernt. Als ich das erste Mal zu der Wohnung in der Frobenstraße fuhr, half ich dem Sohn der Freundin aus Bonn beim Abtransport von Waschmaschine, Kühlschrank und Sofa. Mein linker Ringfinger erinnert sich noch immer schmerzhaft an die Waschmaschine, die auf ihn draufgeknallt ist. Beim zweiten Mal wollte ich die Mitarbeiter einer karitativen Einrichtung in die Wohnung lassen, die ich mit dem Abtransport der restlichen Möbel beauftragt hatte. Durch ein Missverständnis bei der Terminvergabe hätte ich drei Stunden warten müssen. Drei Stunden in Lichterfelde Ost kamen mir vor wie eine Verbannung. Ich vereinbarte einen neuen Termin und ließ den Wohnungsschlüssel bei dem Herrn von der Genossenschaft.
Warum ich das getan habe, verstehe ich bis heute nicht. Jedenfalls musste ich mich noch einmal auf den Weg machen, um den Schlüssel wieder abzuholen. Nach der vierten Fahrt nach Lichterfelde Ost und dem Abtransport der restlichen Möbel machte ich drei Kreuze. Ich wollte nie wieder nach Lichterfelde Ost.
Vor wenigen Tagen rief eine Freundin an, die seit einem von einem Messie gelegten Brand in einer verqualmten Bude in Moabit wohnte. Freudig verkündete sie, dass sie eine neue Wohnung gefunden hätte. Ich gratulierte ihr und fragte, wo sie demnächst leben werde. „In Lichterfelde Ost!“, verkündete sie.
BARBARA BOLLWAHN
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