Ein idealer Auftrag

Wilfried Schulz verlässt das Schauspiel Hannover. Nach neun Jahren als Intendant an einem Ort muss man sich weiterbewegen – stilles Gesetz der Branche. Für Hannover wird es gar nicht so einfach, ihn zu ersetzen. Aber warum wechselt er nach Dresden?

Jetzt ist ausgesprochen, was schon länger in der Luft lag. Wilfried Schulz wird seinen Vertrag als Intendant des Schauspiels Hannover nicht noch einmal verlängern. Zum Sommer 2009 wechselt er als Intendant ans Staatsschauspiel Dresden. Die Nachricht überrascht schon deswegen nicht, weil es am Theater fast schon stilles Gesetz ist, sich spätestens nach zehn Jahren weiterzubewegen. Und weil sich der künstlerische Ertrag von Schulz’ Arbeit mit denen der großen Theater messen lässt, war er auch genau für diese Häuser im Gespräch. Als Nachfolger von Christoph Marthaler am Schauspielhaus Zürich zum Beispiel oder zuletzt für das Deutsche Theater in Berlin.

Der Eindruck täuscht nicht: Das Intendantenkarrussell dreht sich gerade wieder. Posten werden neu vergeben, und immer wieder stellt sich auch die Frage, wie ein Theater heute zu führen ist. Eine gewisse Geschicklichkeit im Umgang mit allen Beteiligten gehört mittlerweile dazu. Und in dieser Hinsicht ist Schulz ein Intendant erster Güte. Nicht nur, dass er junge Autoren und Regisseure konsequent gefördert hat, auch die namhaften Regisseure fühlen sich bei ihm gut aufgehoben. Er hat es in Hannover verstanden, seine Schauspieler zu halten. Das schafft Identifikation, weil die ästhetische Bindung zwischen Zuschauer und Theater über die Regisseure erfolgt, die emotionale Bindung aber über die Schauspieler. Und als trotz des Erfolgs dem Hannoveraner Schauspiel vor drei Jahren rigide Sparmaßnahmen auferlegt werden sollten, hat es Schulz geschafft, einen für alle akzeptablen Alternativplan auszuhandeln.

Ein erzwungener Abschied ist es also nicht. Nicht für Wilfried Schulz, und am Ende auch nicht für Hannover. Die Stadt hat genügend Zeit, einen Nachfolger zu suchen – und vielleicht wieder einen Glücksgriff zu landen wie im Jahr 2000 mit Wilfried Schulz. Der gebürtige Berliner hatte damals zwar zwölf Jahre als Dramaturg unter Baumbauer gearbeitet, aber seine Qualitäten als Intendant noch nirgends unter Beweis stellen können – Risiko gehört in der Branche dazu. Ein Brausekopf ist Schulz nicht, eher ein sympathischer Intellektueller. Und weil er überhitzte Entscheidungen nicht unbedingt schätzt, tritt er sein neues Amt auch erst 2009 an, nicht wie die Dresdner wünschten bereits 2008 – um für die Nachfolge-Regelung in Hannover genügend Luft zu lassen.

Warum aber Dresden? Warum nicht München, Berlin oder gar das Thalia Theater Hamburg, dass für 2009 doch auch einen neuen Leiter braucht? „Weil man mir in Dresden glaubwürdig klar machen konnte, was man von mir will“, sagt Schulz. Das Haus soll wieder deutlicher in der Theaterlandschaft wahrgenommen werden, soll Anschluss finden an aktuelle ästhetische Entwicklungen. Sicherlich ein idealer Auftrag für Schulz. Mit dem Wechsel nach Dresden bleibt er in derselben Größen-Liga, kann Kontinuität pflegen und durch den Wechsel neue Wachheit provozieren. Wahrscheinlich ist sein Weg sowieso ein anderer, als sich stetig hochzuarbeiten. Der Preis dafür ist, dass er auch die Probleme mitnimmt. Das Schicksal zum Beispiel, dass jeder, der nach Dresden oder Hannover kommt, die besten Künstler irgendwann wieder abgeben muss, wenn sie Angebote aus den großen Häusern bekommen. War nicht auch am Schauspiel Hannover im letzten Jahr leichte Ermüdung spürbar? Doch das Blatt kann sich am Theater schnell wenden. Zwei große Arbeiten von Jürgen Gosch und Sebastian Nübling stehen in den nächsten Monaten in Hannover an. Überraschungen sind da garantiert. Und im Herbst folgt dann das nächste Beispiel für Schulz umtriebige Arbeitsamkeit und seinen Expansionswillen. Dann eröffnet man in Hannover eine Jugendtheatersparte, statt sie wie anderswo zu streichen. Man kann Dresden nur gratulieren.

SIMONE KAEMPF