„Eine Frage der Wissenschaftskultur“

Mit Kiel erhält die erste norddeutsche Uni den Titel „Familiengerechte Hochschule“. Zur Debatte steht nicht nur ein altes Rollenmuster, sondern der Wissenschaftsbetrieb selbst. Ein Gespräch mit der Frauenbeauftragten Andrea Eickmeier

taz: Widerspricht es nicht allen Zielen einer familiengerechten Hochschule, das Projekt bei der Frauenbeauftragten, sprich den üblichen Verdächtigen, anzusiedeln?

Andrea Eickmeier: Das stimmt – und zugleich ist es ein Klassiker. Denn wer kann am ehesten den Finger in die Wunde legen und feststellen: Kinderbetreuung ist nicht die alleinige Sache der Frauen – da müssen wir etwas am Bewusstsein und an der Infrastruktur ändern?

Ist Ihnen das gelungen?

Gestern ist anlässlich des Festakts zur Zertifizierung als familiengerechte Hochschule ein Familienservice-Büro gegründet worden, das binnen der nächsten Monate ganz aus dem Frauenbüro herausgehen wird.

Wie verhindern Sie, dass die Projekte nur dazu beitragen, dass Frauen Berufstätigkeit und Kinder etwas besser miteinander vereinbaren, die Väter aber untätig bleiben?

Einerseits haben wir eine Krippe gegründet und ein Ferienprogramm organisiert. Gerade bauen wir so genannte Nester, wo Eltern ihre Kinder ohne Voranmeldung an Tagesmütter abgeben können. Mit anderen Angeboten gehen wir stärker in die Tiefe: Wir haben ein hoch flexibles Arbeitszeitmodell, bei dem eine bestimmte Arbeitszeit pro halbem Jahr und die Erfüllung der Funktion gewährleistet sein muss – ansonsten ist die Arbeitszeitgestaltung völlig frei. Und das kommt nicht nur Kindern zugute, sondern auch alten Eltern, die gepflegt werden müssen.

Pflegen nicht nach wie vor die Töchter?

Das ist in dem Gesellschaftssegment, mit dem wir es zu tun haben, nicht unbedingt so klassisch verteilt.

Haben Sie Zahlen darüber, wie viele Männer Ihre Angebote nutzen?

Nein. Ich stelle allerdings fest, dass es viele Männer gibt, die sagen: Ihr müsst das unbedingt ausbauen. Die jüngere Generation von Professoren hat deutlich den Anspruch, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen und gleichberechtigt Verantwortung zu übernehmen – deshalb haben sie auch ein Interesse daran, dass die Strukturen dazu da sind.

Das heißt, Sie helfen denen, die sowieso schon ein anderes Rollenverständnis haben.

Wir können nur etwas für die Menschen tun, die ihre Kinder zu uns bringen. Wir können uns schlecht in ihre Partnerschaft einmischen. Bei den Anmeldungen für die Krippe merken wir, dass in etwa 40 Prozent der Fälle der Vater den Antrag stellt.

Kritiker monieren, dass sich selbst in der Organisation der familiengerechten Hochschule alte Rollenmuster fortsetzen: Frauen organisieren die Krippe, Männer entscheiden über die Finanzierung.

Ich versuche es anders zu machen: Wir haben eine Lenkungsgruppe, in der vor allem Männer sitzen, die für die Umsetzung der Ziele sorgen müssen. Außerdem ist die halbe Leitungsetage der Verwaltung mit Frauen besetzt. Aber es stimmt, dass derzeit bei uns ein Mann über die Verteilung der Gelder entscheide: Wir haben einen Mann als Kanzler. Der identifiziert sich allerdings sehr mit dem Thema. Man könnte auch eine Frau an dieser Stelle haben, die das nicht tut.

Ihre Ziele für die nächsten drei Jahre klingen eher bescheiden: ein Eltern-Kind-Zimmer, ein interaktives Elternportal sowie Maßnahmen im Bereich Personalführung.

Oh, die Hertie-Stiftung hat gesagt, sie fände das sehr ambitioniert. Aber Sie haben natürlich recht: Es geht nur Schritt für Schritt voran. Was wir sehr deutlich gemerkt haben, ist, dass sich an der Kultur der Uni etwas getan hat: Es ist seltener geworden, dass frau zu hören bekommt: „Das ist wohl das Ende Ihrer Karriere“, wenn sie schwanger wird.

Und wo liegen die Widerstände?

Es gibt große Ressentiments gegen die Idee, dass man exzellente wissenschaftliche Leistungen in Teilzeit erbringen könne – sowohl gegenüber männlichen wie weiblichen Forschern. Die ideale Lösung für ein Wissenschaftlerpaar wäre aber jeweils eine Dreiviertelstelle. Es geht also bei unserer Arbeit auch um eine Frage der Wissenschaftskultur.

Forscht man mit mehr Zeit nicht intensiver und folglich besser?

Sie sind auf jeden Fall schneller, aber deswegen sind sie nicht unbedingt klüger. Und deshalb müsste man in Besetzungsverfahren genauer abwägen: Da hat jemand wegen seiner Kinder nur zwei Drittel gearbeitet – und deshalb eine kürzere Publikationsliste. INTERVIEW: F. GRÄFF