Die Staatslenkerin

„Mit aller Härte“ hat Angela Merkel die EU-Pläne für neue Klimaschutzvorgaben zurückgewiesen. Das freut die Autoindustrie – und macht Merkel zur ersten Frau in der Riege deutscher Autokanzler

von BEATE WILLMS

So schnell ist Angela Merkel wohl selten belohnt worden. Kaum hatte sie sich gestern dazu durchgerungen, für die deutschen Autobauer in die Bütt zu gehen und die Pläne der EU-Kommission für neue Klimaschutzvorgaben „mit aller Härte“ zurückzuweisen, bekam sie umgehend die höchsten Weihen, die in Deutschland zu vergeben sind: Die Rede von der „Autokanzlerin“ machte die Runde.

Nun gehört sie dazu. Zur bisher rein männlichen Riege der deutschen Staatslenker, die sich um das individuelle Fortbewegungsmittel verdient gemacht haben. Angefangen von Konrad Adenauer, der bereits 1930 als Kölner Oberbürgermeister dafür sorgte, dass der amerikanische Autobauer Ford nach Köln kam, bis hin zu Merkels Vorgänger Gerhard Schröder, der sich nie vom niedersächsischen Vorzeigebetrieb Volkswagen trennen konnte, aber auch ein großes Herz für DaimlerChrysler, BMW und Co. zeigte.

Egal, ob es um die europäische Altautoverordnung, Pendlerpauschalen oder die Rußfilterförderung ging – Schröder wusste die Argumentation der Bundesregierung gegen gesetzliche Vorgaben oder für die Subventionierung von Autofahrern immer wieder so hinzubiegen, dass die Bedenken des grünen Umweltministers Jürgen Trittin schnell kleinkariert klangen.

Allerdings hatte Schröder, der risikobereite Machermann, der kraftstrotzende Macho, es dabei weit einfacher als jetzt Merkel.

Was hat sie angetrieben? Wollte sie nur dazugehören? Oder ging es ihr auch darum, ihre DDR-Vergangenheit endgültig zu überwinden? Wie oft hat die Ostdeutsche nicht schon erzählt, dass sie 40 Fahrstunden für ihre Fahrerlaubnis brauchte? Nicht, weil sie so schlecht fuhr, sondern weil sie nicht auf die Idee kam, den Fahrlehrer mit einem Trinkgeld zu belohnen. Wer kennt nicht die Geschichte mit der ständig verschobenen Auslieferung des dann doch bestellten Trabi, den sie nie bekam – erst nach der Wende konnte sie ihren ersten eigenen Wagen kaufen. Ausgerechnet einen VW Golf.

Oder hat Merkel einfach genug von ihrer Geschlechterrolle? Ist es ihr einfach zu blöd geworden, auf Versammlungen der Frauenunion zu erklären: „Da Frauen schlecht einparken können, muss ein Auto für mich klein sein“?

Reicht das als Erklärung aus? Merkel muss als Physikerin und ehemalige Umweltministerin doch sehr gut wissen, welch große Auswirkungen auch nur ein paar Gramm mehr CO2-Ausstoß auf das Klima haben würden.

Nahe liegender ist die Erklärung, dass auch sie nun doch unter dem Druck der Autolobby zusammengebrochen ist. Schließlich hat sie handfeste Argumente – zumal für eine konservative CDU-Kanzlerin: Etwa jeder 7. Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Auto ab. Rund 3,5 Millionen Menschen – Männer und Frauen – arbeiten in der Automobilindustrie, bei den Zulieferern, im Handel, der Wartung, in Reparaturwerkstätten und Tankstellen. Und obwohl ein Großteil der deutschen Forschungs- und Entwicklungsausgaben in den Wolfsburg, Sindelfingen und München verschwindet, verliert die deutsche Automobilindustrie international an Boden. 2006 hat China Deutschland als drittgrößtes Herstellerland abgelöst.

Außerdem ist die deutsche Autolobby bestens aufgestellt. Tatsächlich dürfte sie wohl nur mit der US-amerikanischen National Rifle Association vergleichbar sein, die auch den Deutschen spätestens seit Michael Moores „Bowling for Columbine“ bekannt sein müsste: Während die eine das Recht des Amerikaners auf seine Schusswaffe verteidigt, geht es in Deutschland um „freie Fahrt für freie Bürger“.

Dass das schon lange funktioniert, zeigt, dass mehr dahinter stecken muss als ein persönliches Merkel-Problem oder nur der pure Druck einer wirtschaftlichen Lobby: Es ist die Lust der Deutschen an ihrem liebsten Spielzeug. Nicht umsonst ist das Land berühmt für seine Autobahnen, auf denen jeder seine Geschwindigkeitsliebe ausleben kann.

Schon vor Jahren haben Forscher am BAT-Freizeitforschungsinstitut in Hamburg herausgefunden, dass „Mobilität ohne Auto in Deutschland Entzugserscheinungen“ erzeugt. Zum Entzug aber gehört die Sucht, die Sucht nach mehr PS, nach mehr Tempo, nach mehr Spaß. Was das Ganze kostet, kurzfristig an Sprit, langfristig an Zukunft, ist unter diesen Bedingungen völlig egal. Welcher Junkie sucht sich schon seine Droge nach Vernunftkriterien aus? Nun ist also auch Frau Merkel infiziert. Die einzige Hilfe bei Suchtkrankheiten ist: sofortiger Stopp! Und bloß keinen Kontakt mehr zur Szene! Aussteiger aber haben’s schwer – auch in der deutschen Politik.