Trotz einer Amnestie weiterhin im Gefängnis

SYRIEN Hunderte friedliche Aktivisten werden nicht freigelassen, obwohl sie begnadigt werden sollten

BERLIN taz | Ungeachtet einer Generalamnestie werden weiterhin zahlreiche Aktivisten, Menschenrechtler sowie Mitarbeiter von Medien und humanitären Organisationen willkürlich in syrischen Gefängnissen festgehalten. Darauf weisen zwölf Menschenrechtsorganisationen und zivilgesellschaftliche Gruppen in einer Erklärung vom Wochenende hin. Zu den Unterzeichnern gehören Human Rights Watch, Amnesty International, Reporter ohne Grenzen sowie das Syrische Netzwerk für Menschenrechte.

Die Bestimmungen für die Begnadigung vom 9. Juni dieses Jahres umfassen auch Anklagen, die friedliche Aktivisten betreffen, wie etwa „Schwächung des Nationalgefühls“. Andere Anklagen fallen sogar unter das Anti-Terror-Gesetz, um die Opposition zum Schweigen zubringen.

Nach Angaben des Regimes kamen bislang 2.445 Personen durch die Amnestie frei. Ein Rechtsanwalt, der mit politischen Gefangenen in Damaskus zusammenarbeitet und die Umsetzung des Amnestiegesetzes beobachtet, spricht gegenüber den Menschenrechtsorganisationen von insgesamt 1.300 Freigelassenen, Kriminelle eingeschlossen. Er weist darauf hin, dass die Akten einiger Gefangener, die hätten freigelassen werden sollen, zurück an die Staatsanwaltschaft gingen. Zweck der Übung war, die Anklagen so zu verändern, dass sie nicht mehr unter die Amnestie fallen.

Systematische Folter

„Präsident Assads Amnestie hat Hoffnungen vieler Festgenommener und ihrer Familien geweckt, nur um diese wieder zu zunichte zu machen, als Wochen vergingen, ohne dass sich etwas tat“, sagte ein Sprecher der Menschenrechtsorganisationen. „Jeder Tag, den friedliche Aktivisten hinter Gittern verbringen, die ohnehin gar nicht erst hinter Gitter hätten kommen dürfen, ist ein weiterer Tag der Ungerechtigkeit gegenüber ihnen und ihren Familien.“ Die Unterzeichner der Erklärung fordern den Zugang unabhängiger Beobachter zu allen Gefängnissen.

In Syrien werden Gefangene systematisch misshandelt. Aus einem Anfang dieses Jahres veröffentlichten Bericht von drei ehemaligen Anklägern in Verfahren wegen Kriegsverbrechen geht hervor, dass seit Beginn des Arabischen Frühlings etwa 11.000 Häftlinge in Syrien gefoltert wurden. BEATE SEEL