Bleiberecht ist zäher als gedacht

Wie steht es um die Chancen von Flüchtlingen, in Deutschland zu bleiben? Mehr als zwei Monate nach dem Kompromiss der Innenminister zeigt sich: Die Hürden sind hoch und der Weg vom Antrag bis zur Arbeitserlaubnis ist lang

VON ESTHER GEISSLINGER
, KAI SCHÖNEBERG
und DANIEL WIESE

Die Hoffnungen waren groß, als sich die Innenminister der Länder im November auf eine Bleiberechtslösung für die langjährig in Deutschland geduldeten Ausländer geeinigt hatten. Die Realität ist ernüchternd, sogar „demoralisierend“, sagt Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat. „Wir hatten optimistisch gehofft, dass rund 20 Prozent der Geduldeten unter die neue Regelung fallen“, sagt Weber. „Tatsächlich sind es wohl nur fünf.“ Das wären in Niedersachsen rund 1.000 Flüchtlinge, die ein Aufenthaltsrecht bekommen. Offizielle Zahlen will das Innenministerium erst Mitte Februar vorlegen.

Gestern traf sich Weber in Hannover mit in der Flüchtlingsarbeit tätigen Sozialarbeitern zu einem ersten Erfahrungsaustausch über die neue Regelung. „Mit desaströsen Ergebnissen“, sagt der Experte: Vier von fünf Geduldeten scheiterten bereits daran, dass sie keinen Pass vorlegen könnten. In Niedersachsen fielen vor allem Familien mit Kindern durch das Raster. Der Grund: Väter oder Mütter müssen mit ihrem neuen Job so viel Geld verdienen, wie ihnen theoretisch durch staatliche Beihilfen zustünde; nur das Kindergeld, dass den Flüchtlingen ohnehin zusteht, wird akzeptiert. „Das heißt, dass Eltern einen Verdienst von in etwa 1.800 bis 2.000 Euro netto vorweisen müssen – wer schafft das schon?“, fragt Weber. Auch kriegsversehrte, alte oder behinderte Flüchtlinge haben wenig Aussichten, in Deutschland bleiben zu können: Sie müssen eine Krankenversicherung vorweisen. Wer die Versicherung selbst tragen muss, zahlt leicht über 1.000 Euro.

Bei den Arbeitsagenturen gibt es bislang kaum Rückmeldungen: „Wir haben eine ganz geringe Zahl von einzelnen Ausländern, die sich hier arbeitssuchend gemeldet haben“, sagt der Sprecher der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen, Michael Köster. Eine Anfrage in größeren Agenturen hat ergeben, dass in Braunschweig und Hannover derzeit je fünf Flüchtlinge nach Arbeit suchen, in Goslar sind es demnach 15.

Im Hamburg werden die genauen Zahlen erst heute von der Innenbehörde bekannt gegeben, der Pressesprecher wollte vorab noch nichts verraten. Bereits Anfang Januar hatten allerdings über 900 der etwa 11.000 in der Stadt lebenden Flüchtlinge Bleiberechts-Anträge gestellt. Nach Informationen der kirchlichen Beratungsstelle „Fluchtpunkt“ wollen inzwischen „weit über 1.000 Menschen“ das neue Recht in Anspruch nehmen. Allerdings spiele die Ausländerbehörde nicht recht mit, berichtet Fluchtpunkt-Mitarbeiterin Anne Harms: Wochenlang würden die Anträge nicht bearbeitet, nur ein Bruchteil sei bisher bei der Arbeitsagentur eingegangen, die die Arbeitserlaubnis erteilen muss. „Wir haben den Eindruck, dass einzelne Abteilungen der Ausländerbehörde die Bleiberechtsregelung unterlaufen“, sagt Harms.

In Schleswig-Holstein hat sich dagegen durch die Neuregelung bislang nicht viel verändert, so lautet das Ergebnis einer Tagung des „Bündnisses Bleiberecht“. Martin Link vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein sagt: „Wir analysieren noch.“ Anders als in Hamburg werden geduldete Ausländer im hohen Norden nicht angeschrieben – wer meint, von der neuen Regelung zu profitieren, der muss selbst zur Behörde gehen.

„Die Regelungen der Innenminister haben keine umfassende Befriedung der Rechtslage gebracht“, sagt Dirk Gärtner vom Kieler Innenministerium – „das war auch nicht gewollt.“ Sorgen bereitet ihm, dass Niedersachsen sich dafür stark macht, die Regelungen der Innenminister nicht in ein Gesetz einfließen zu lassen. Dass „die Kuh Kettenduldung nicht vom Eis“ sei, befürchtet daher Martin Link vom Flüchtlingsrat: „Es werden täglich neue Kälber geboren“, sagt er.

Allerdings scheinen in Schleswig-Holstein ohnehin nicht allzu viele Menschen unter die neue Bleiberechtsregelung zu fallen. „Einige Ausländerbehörden haben ihre Fälle analysiert und festgestellt, dass nur wenige betroffen sind“, sagt Ministeriumssprecher Gärtner. Der Grund könne sein, dass das Land schon immer mutiger als andere Länder die Härtefallklausel angewandt habe.