Verfassungsschutz macht dicht

Die Behörde verzögert die Aufklärung der Affäre um die Bespitzelung des Sozialforums, weil sie keine Akten freigibt – entgegen allen Versprechungen. Dafür sammelt sie scheinbar wahllos Informationen

von ULRICH SCHULTE

Claudia Schmid, Chefin des Berliner Verfassungsausschusses, versprach den Parlamentariern rasche Aufklärung. In „einer Menge Auskunftsbescheide“ zur Bespitzelung des Berliner Sozialforums habe ihre Behörde darlegen können, dass überhaupt keine Daten gespeichert wurden, sagte sie Anfang Dezember im Verfassungsschutzausschuss des Abgeordnetenhauses. Anderen Betroffenen, die von V-Leuten ausgespäht wurden, werde die Sichtung von Akten erlaubt oder ihnen würden Kopien geschickt.

Keine zwei Monate später ist klar: Schmid hat im Ausschuss mächtig übertrieben, nach Aussagen Bespitzelter sogar glatt gelogen. Denn die Abteilung Verfassungsschutz der Innenverwaltung verzögert die Aufklärung der Spitzelaffäre des vergangenen Sommers nach wie vor – und gibt sich zugeknöpft wie immer. Mitte Juni war bekanntgeworden, dass mehrere V-Leute das Sozialforum, einen Zusammenschluss linker Initiativen, über Jahre unterwandert hatten. Betroffen ist etwa der FU-Politologe Peter Grottian. Die Behörde hat, anders als von Schmid angekündigt, außer Grottian niemandem Akteneinsicht erlaubt. „Das ist ein Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das die Verfassung garantiert“, sagt Siggi Graumann, ein Mitglied des Sozialforums.

Auch das Berliner Verfassungsschutzgesetz verpflichtet die Behörde, beobachteten Personen „unentgeltlich“ über zu ihnen gespeicherten Daten Auskunft zu geben. Rund 20 Mitglieder des Sozialforums beantragten nach Bekanntwerden der Beobachtungswut von Schmids Untergebenen Akteneinsicht. Doch der Verfassungsschutz legte seine Auskunftspflicht offenbar eher als Verschleierungspflicht aus. Und ließ sich Zeit. Dirk Behrendt, der rechtspolitische Sprecher der Grünen, kritisiert die späte Reaktion der Behörden: „Das läuft mehr als schleppend. Im Sommer haben der Innensenator und die Verfassungsschutzchefin zügige Akteneinsicht versprochen; dieses Interesse ist nach der Abgeordnetenhauswahl schnell erlahmt.“

Laut Sozialforum bekamen 15 Antragsteller in den vergangenen Wochen eine Antwort, an 11 ging ein immer gleiches Schreiben. Viel Substanzielles steht nicht in diesem Serienbrief, der der taz vorliegt. Ein Mitarbeiter teilt stolz mit, er habe „zahlreiche in Frage kommende Akten zu linksextremistischen Gruppierungen“ durchgesehen – „per Hand Blatt für Blatt“. Dabei tauche der Name des Beobachteten auf. Damit hat es sich aber mit der Aufklärung. Mehr Details, gar Einsicht in die Unterlagen, könne nicht gewährt werden, heißt es. Der Grund: Informationsquellen der Verfassungsschützer könnten gefährdet sein.

Dabei ist der Behörde der Nutzen des Materials, dass sie da zusammengesammelt hat, anscheinend selbst nicht klar. Es sei für seine „Aufgabenerfüllung nicht relevant“, schreibt der Mitarbeiter den Bespitzelten. Und bietet an, die Informationen zu löschen. Die Antworten des Verfassungsschutzes auf die Anfragen der bespitzelten Sozialforumsmitglieder enthüllen also eine seltsame Arbeitsauffassung: Die V-Leute sammelten mehr oder weniger willkürlich Informationen, die Zentrale erkannte die Harmlosigkeit des Gesammelten. Dennoch archivierte sie das Material.

Drei Mitglieder des Sozialforums wollen nun vor dem Verwaltungsgericht ihr Recht auf Akteneinsicht einklagen. Für Verfassungsschutzkritiker wie Dirk Behrendt offenbart die Affäre ein Problem des Systems. „Das Amt schafft es immer noch nicht, zwischen legitimer politischer Tätigkeit und gewalttätigem Extremismus sauber zu trennen.“ Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat bisher nichts Falsches an der Beobachtung finden können. Die Verfassungsschützer hätten nicht das Sozialforum oder Grottian ausgespäht, sondern Autonome, die das Sozialforum für ihre „linksextremistischen Ziele“ zu missbrauchen versuchten, argumentierte er.