Ganz normale Traummuseen

Fantasie und Protz als Selbstbehauptung: Auf einem Hügel nahe Chișinău, der Hauptstadt der Republik Moldawien, bauen arme Roma-Familien ihre Visionen von Schönheit, Macht und Reichtum. In seiner Videoinstallation „Baron’s Hill“ macht Pavel Brãila nun Berlin mit ihrem Glamour bekannt

von INES KAPPERT

Gebaute Träume. Auf sechs Videoleinwänden verteilt sind ihre Außenfassaden und Interieurs zu begutachten. Ruhig nimmt die Kamera jeden einzelnen Ziergegenstand auf und lässt sich Zeit, an den schweren roten Samtvorhängen bis zu den Trotteln hinabzugleiten. Dann schwenkt sie über zum Kronleuchter, verfängt sich für einen Moment in seinen geschliffenen Glasteilen, entdeckt darauf die Porzellanfiguren in den Glasvitrinen und schließlich das fürstliche Doppelbett mit einer schönen Nackten in Öl darüber. Mit gleicher wertfreier Sorgsamkeit tastet sie sich an den Fassaden mit den vielen Erkern, Türmchen und liebevoll verzierten Dachrinnen entlang. Kitsch, keine Frage.

Für den in Berlin und Chișinău (Republik Moldawien) lebenden Künstler Pavel Brãila aber handelt es sich bei den rund vierzig auf einem Hügel in der Nähe der moldawischen Hauptstadt erbauten Villen vor allem um musealisierte Träume. Ihre Besitzer, Roma-Familien, haben ihre Visionen von Schönheit, Macht und Reichtum nicht selten Bollywoodfilmen entlehnt. Dass ihr Villenviertel gleichzeitig die eigene Isolation und Armut ausstellt, dürfte eher unfreiwillig sein. So verfügen die Häuser weder über Strom- noch Wasseranschluss und dienen ausschließlich der Repräsentation. Die Familien, die teilweise über Generationen hinweg ihre Ersparnisse in sie investieren, leben meist in einer kleinen Hütte nebenan. Der Rassismus gegen die Roma ist auch in dem ärmsten Land Europas harsch.

Brãilas Videoinstallation namens „Baron’s Hill“ ist aber keine Dokumentation. Der 1971 in der ehemaligen Sowjetrepublik geborene Künstler hat weder Recherchen unternommen noch Interviews mit den Besitzern geführt. Ihn interessiert stattdessen die Ästhetik, die den Traum von materieller Überfülle und Zuhausesein auch an Orten strukturiert, von denen man anderes erwartet hätte.

Um diese einzufangen, bedient er sich der Collage. Detailaufnahmen wechseln sich mit Totalen auf die Fassaden ab, die Bilder fließen über die Leinwände hinweg, rutschen aus der Quadrierung heraus – und setzen sich am Ende nicht zu einem fertigen Haus zusammen, sondern ergeben eine Welt. Eine Welt, für die man nicht notwendig in die Republik Moldawien reisen muss: Der Nippes und der mit Intarsien überfrachtete Parkettboden – das alles findet sich auch in deutschen Heimen stolzer Neureicher.

Genau darin liegt die Stärke der Arbeit: Sie greift ein Kuriosum auf, ohne es dem Exotismus zu überantworten, und nähert sich ihm mit ernsthafter Neugier. Diese Ernsthaftigkeit zeigt sich auch in der Wahl der unterlegten Musik: eine Fuge von Johann-Sebastian Bach, g-Moll, für Oboe. Die Getragenheit und mathematische Strenge Bachs arbeitet die Verlorenheit, die Freiheit und die Kommerzialität des Kunsthandwerks heraus. Die Arbeit macht sich nicht lustig über Disneyland im Roma-Stil; sie ist zutiefst melancholisch.

Und dann ist da noch der Boden. Hunderte von kleinen vergoldeten Messingbarren bilden eine mehrere Quadratmeter umspannende Fläche. Messing, das dem Volksmund als „Zigeuner-Gold“ gilt, so der Hinweis von Brãila, ist das inhaltliche Motiv. Hinsichtlich seiner ästhetischen Referenzen hält er sich stets bedeckt. Vielleicht ist es ein ironischer Bezug auf die Minimal-Art? In jedem Fall sollte man darauf treten und selbst ein Gefühl von Gebrauchs-Reichtum unter den Füßen haben, bei der Betrachtung vielleicht befremdlicher und doch in aller Intimität nahe gebrachter Visionen.

„Baron’s Hill“ nun greift Motive von vorhergehenden Arbeiten auf. Die berühmteste davon ist „Shoes for Europe“. 2002 war sie bei der documenta 11 zu sehen. Mit versteckter Kamera nahm Brãila an der rumänisch-russischen Grenze die routinierte und wörtlich zu nehmende Übersetzung der Transportzüge vom sowjetischen auf europäisches Gleiswerk auf. 85 Millimeter beträgt der Unterschied. Und der hat Konsequenzen. Die Fahrgestelle müssen von den in diesem Fall mit Schuhen für den europäischen Markt angefüllten Waggons gelöst, die Waggons mit Kränen hochgehoben, neue Fahrgestelle untergeschoben und befestigt werden. Die Aktion ist aufwändig, findet des Nachts und in großer Eile statt. Behutsam lotst die Kamera die BetrachterIn durch das zunächst unverständliche Geschehen. Was ist das dunkle Geheimnis dieser nächtlichen Aktivität? Es ist der eine knappe Zentimeter, die winzige Abweichung in den Standards, der den Osten nach wie vor zu dem „Osten“ macht und die Trennlinie zu Europa sichert.

Auch in dieser Arbeit findet sich also eine Story, aber auch hier bleibt Brãila nicht bei der Pointe stehen. Sondern lässt durch seine präzise visuelle Komposition den Gag, den die Absurdität der Realität produziert, lakonisch ins Leere laufen.

Mit „Baron’s Hill“ nun hat sich Brãila selbst einen Traum erfüllt. Als er 2006 vom DAAD nach Berlin eingeladen wurde, so erzählt er gerne, war für ihn klar: Ich will in die Neue Nationalgalerie. Das ist dem ausgebildeten und längere Zeit auf einem Schiff beschäftigten Koch und Maschinenbauer nun gelungen: Die bereits 2005 fertiggestellte Arbeit „Baron’s Hill“ ist die Berlinale-Installation des DAAD in Kooperation mit der im Mies-van-der-Rohe-Bau behausten Institution. Und sie ist eine Installation für den Abend oder die Nacht, denn tagsüber lässt sich aufgrund der Lichtverhältnisse nur ahnen, was der Künstler uns vor Augen führen möchte.

Bis zum 25. Februar, Neue Nationalgalerie