Die Mehrheit gebrochen

Landauf, landab haben die WählerInnen die Republikaner abgestraft – wegen Präsident George W. Bush

AUS WASHINGTON BERND PICKERT

Es ist das geworden, was US-amerikanische Wahlanalysten eine „Wave Election“ nennen, eine Wahl, die ohne Ansicht lokaler Besonderheiten eine einzige Richtung aufweist: Landauf, landab haben die WählerInnen die Republikaner des Präsidenten George W. Bush abgestraft. Erstes Opfer: Verteidigungsminister Donald Rumsfeld.

Noch in der vergangenen Woche hatte Bush auf die Forderungen nach Rumsfelds Rücktritt bockig reagiert: Er wolle ihn bis zum Ende seiner Amtszeit behalten, hatte Bush gesagt. Gestern nun annoncierte der Präsident bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Wahl Rumsfelds Rücktritt. „Die Zeit für eine neue Führung im Pentagon ist gekommen“, sagte Bush, lobte Rumsfeld als großen Patrioten und annoncierte umgehend, wen er als Nachfolger möchte: Der ehemalige CIA-Direktor Bob Gates soll das Pentagon leiten. Gates, der in den 70ern und in den 90er Jahren zweimal der CIA vorstand, ist seit einigen Jahren Privatmann. Er gehört der überparteilichen Baker-Kommission an, die im Auftrag des Präsidenten eine neue Irakstrategie ausarbeiten soll.

Es ist der Fallout einer klaren Wahlentscheidung. Eine Stunde zuvor hatte die designierte Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, noch einmal die Forderung erneuert, Rumsfeld zu ersetzen. Mit einer klaren Mehrheit von mindestens 227 Stimmen übernehmen die Demokraten die Führung im Repräsentantenhaus. 15 Sitze hätten sie hinzugewinnen müssen, um die zwölfjährige republikanische Mehrheit zu brechen: Tatsächlich wurden es mindestens 28. Bei 14 der insgesamt 435 Sitze steht noch kein Gewinner fest, weil die Kandidaten zu eng beieinander liegen. Nirgendwo konnten umgekehrt die Republikaner den Demokraten auch nur einen einzigen Sitz abnehmen.

Bush gratulierte den Demokraten zu ihrem Wahlsieg. Er sei „offensichtlich enttäuscht über den Ausgang der Wahlen“, sagte er. „Wir müssen jetzt mit beiden Parteien zusammenarbeiten.“

Demokratische Gewinne auch im Senat: Sechs Sitze hätten die Demokraten hier hinzugewinnen müssen, um die Mehrheit zu stellen. Vier, vielleicht sogar schon fünf, davon haben sie gewonnen, und ein Sitz ist weiterhin offen: In Virginia liegen die Kandidaten so eng beieinander, dass es womöglich noch Wochen dauert wird, bis nach juristischen Entscheidungen und Neuauszählungen feststeht, welche Partei den Senat kontrolliert. Allerdings liegt nach derzeitigem Stand der demokratischen Herausforderer in Virginia knapp vor den republikanischen Amtsinhabern.

Gewinnen die Demokraten den Staat Virginia, übernehmen sie mit 51 zu 49 Stimmen auch die Mehrheit im Senat, da die beiden gewählten unabhängigen Senatoren, Joe Lieberman aus Connecticut und Bernie Sanders aus Vermont, bereits erklärten, sich der demokratischen Fraktion zuzurechnen. Gewinnen die Republikaner Virginia, steht es 50:50. Dann entscheidet Vizepräsident Dick Cheney, wer den Senat führen soll, und hat das Recht, als 101. Stimme Pattsituationen zu brechen.

Erste Nachwahlumfragen signalisierten, was sich in der Wahlnacht bestätigte: Über 60 Prozent der landesweit Befragten gaben an, ihre Wahlentscheidungen aufgrund nationaler Erwägungen getroffen zu haben. Das ist in einer Zwischenwahl ungewöhnlich. Der alte Kernsatz des lokalen Fokus „all politics is local“ war bei diesen Wahlen außer Kraft gesetzt. Hauptthemen: Irak, Korruption, Wirtschaft und Terror. Insbesondere die Wirkung der Korruptionsskandale der letzten Jahre haben die konservativen Strategen offenbar nicht wettmachen können – hinzu kam der unpopuläre Irakkrieg.

Auch bei den Gouverneurswahlen setzte sich der Trend fort. Von den 36 Gouverneursposten, die zur Wahl standen, konnten die Demokraten 6 hinzugewinnen, sodass sie erstmals seit 12 Jahren eine Mehrheit der Gouverneure stellen. In Arkansas, New York, Colorado, Maryland, Massachusetts und Ohio übernahmen die Demokraten Gouverneursposten, die zuvor von Republikanern gehalten worden waren. Allerdings zeigte sich die antirepublikanische Welle bei den Gouverneurswahlen vor allem dort, wo die Posten offen waren, weil Gouverneure nur zwei Amtszeiten bleiben können: Mit Ausnahme von Robert Ehrlich in Maryland siegten alle amtierenden republikanischen Gouverneure, darunter auch Arnold Schwarzenegger in Kalifornien, der mit 56 Prozent ein Traumergebnis erzielte.