Die gefühlte Sicherheit

Zur angeblich so prekären „Generation Praktikum“ kann sich nur zählen, wer es sich leisten kann – weil eine Erbschaft winkt

VON COSIMA SCHMITT

Sie verdienen kein Geld, doch sie fahren einen Kleinwagen. In ihrer Altbauwohnung sitzend, tippen sie Bewerbungen. Mit ihrem Hightech-Laptop schicken sie sie ab. Die „Generation Praktikum“ gehört zu den Verlierern der modernen Arbeitswelt. Über Monate ackern und schuften sie für ein Witzgehalt. Doch viele von ihnen sind auch Gewinner. Denn sie gehören zur modernen Erbengeneration – deren finanzielle Verhältnisse nach einem Urteil des Verfassungsgerichts jetzt im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen (siehe Seite 5).

Wer in Deutschland wie viel erbt, ist bisher nur unzureichend untersucht. 2005 veröffentlichte das Bundesgesundheitsministerium eine damals wenig beachtete Studie. Ihr Tenor: Zwar erben vor allem Menschen, die ohnehin schon über Geld verfügen. Das bedeutet aber nicht, dass Erben die Vermögensverteilung insgesamt ungerechter macht. Während es für Reiche wenig bedeutsam ist, ob sie noch ein bisschen reicher werden, rettet geerbtes Geld die abstiegsbedrohte Mittelschicht. Erst das Erbe ermöglicht es Menschen, deren Einkommen kaum für die laufenden Kosten reicht, ein Vermögen aufzubauen – und sich in der Mittelschicht zu behaupten.

Diese Thesen und Analysen machen vieles verständlich, was derzeit als Lebensgefühl der Generation Praktikum diskutiert wird. Sie lassen erahnen, warum bislang die ganz große Empörung ausgeblieben ist: Langzeit-Praktikanten würden wohl noch viel lauter aufschreien, wenn nicht viele von ihnen Eltern hätten, die ihnen Miete und Urlaub finanzieren – oder gar vom vorgezogenen Erbe eine schicke Großstadtwohnung kaufen.

Die Wirkung indes geht noch weiter. Ohne den familiären Finanzrückhalt wäre diese Lebensform kaum möglich. Die meisten Jungakademiker könnten sich das „Luxus-Praktikum“, das ja wenigstens die vage Chance auf eine Stelle eröffnet, erst gar nicht leisten. Häufiger als jetzt müssten sie schauen, woher die Miete kommt – und im Callcenter oder in der Lagerhalle jobben. So aber überbrücken die Kinder der Wirtschaftswunder-Profiteure die Krisenzeit nach dem Examen anders, als ihre Vorgänger es taten. Die Generation Praktikum hat die Generation Taxischein abgelöst. Historisch gesehen befindet sie sich in einer einmaligen Situation: Sie sind die Kinder derjenigen, die vom Nachkriegs-Aufschwung besonders profitierten – doch sie selbst können kaum auf rasch wachsenden Wohlstand hoffen.

Dabei sind es nicht die Kontostände allein, die Zukunftsängste beeinflussen. Wichtiger noch ist der psychologische Effekt. Die Aussicht auf ein Erbe verleiht, bei aller akuten Finanznot, eine gefühlte Sicherheit. Die Zeit der Praktika – so zermürbend sie sein mag – wird als Übergangsphase empfunden. Langfristig erhofft sich der entnervte Dauerpraktikant einen gehobenen Lebensstandard. Die Aussicht auf ein Erbe ist dabei eine wichtige emotionale Stütze – selbst wenn sie sich letztlich als Illusion erweisen mag, etwa weil der demente Vater seine Rücklagen dann doch selbst für ein gutes Pflegeheim braucht.

Oft ist es sogar sekundär, ob das Erbe tatsächlich irgendwann eintrifft. Schon die Hoffnung, irgendwann einmal ein Eigenheim oder Aktienpaket zu erhalten, beeinflusst den Lebensplan. Wohl nicht zufällig ist, wer Literatur oder Philosophie studiert, oft umringt von Lehrer- und Arztkindern. Die Finanzkraft der Eltern befördert die Entscheidung, nach Neigung zu studieren und nicht nach den Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Es ermuntert Menschen, an ihrem Wunschberuf festzuhalten, selbst wenn die Stellen rar und die Gehälter überschaubar sind. Später stärkt der gefühlte Wohlstand den Mut, trotz prekärer Berufslage Kinder in die Welt zu setzen. Notfalls muss eben Oma für Babybett und Fahrrad aufkommen.

Erben ist also, aus Sicht vieler Jungakademiker, die Rettung eines Lebensmodells. Es bewahrt ihnen Wahlchancen in einer chancenarmen Zeit: die Freiheit, „brotlose Kunst“ zu studieren. Die Freiheit, eine Familie zu gründen, selbst wenn das Archäologendasein kaum die Miete erwirtschaftet. Es bewahrt viele Mittelschichtler vor dem Absturz – und schafft selbst unter Geringverdienern ein Zwei-Klassen-System.