Richter reißen das Steuer rum

Karlsruhe stoppt die Willkür bei der Erbschaftsteuer. Künftig muss auch bei Immobilien und Unternehmen der Verkehrswert besteuert werden

FREIBURG taz ■ Bisher wird der Wert von vererbten Immobilien und Unternehmen von deutschen Finanzämtern viel zu niedrig angesetzt. Das verstoße gegen das Grundgesetz, entschied gestern der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts. Der Bundestag muss daher das Erbschaftsteuergesetz bis Ende 2008 neu regeln. Der gestrige Beschluss wird dabei nicht zwingend zu Steuererhöhungen führen. Vielmehr hat Karlsruhe dem Bundestag einen großen Spielraum für neue „Verschonungsregelungen“ eingeräumt.

Das Problem ist schon lange bekannt. Wer Bargeld oder Aktien im Wert von 200.000 Euro erbt, muss diese mit dem vollen Wert versteuern. Bei einem ererbten Haus im gleichen Verkaufswert wird dagegen nur ein deutlich geringerer Wert bei der Steuer angesetzt. Auch Unternehmen, Felder und Wälder werden nicht mit dem Verkehrswert besteuert. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1995 den Gesetzgeber aufgefordert, diese Ungleichbehandlung zu beenden.

1997 führte der Bundestag zwar ein neues Bewertungsverfahren ein, doch nach wie vor werden Immobilien nur mit 50 bis 60 Prozent des Verkehrswerts besteuert. Der Bundesfinanzhof, das höchste deutsche Finanzgericht, hat deshalb 2002 Karlsruhe zum erneuten Eingreifen aufgefordert.

Gestern stellten die Verfassungsrichter nun unmissverständlich fest: Grundlage der Besteuerung muss der Verkehrswert des Erbgutes sein. Bei der Wertfestsetzung darf der Gesetzgeber noch keine Lenkungsziele verfolgen, weil dies nur zu „zufälligen und willkürlichen“ Ergebnissen führt. Weil aber der Verkehrswert nicht völlig objektiv bestimmt werden kann, belässt Karlsruhe dem Gesetzgeber einen „Korridor vertretbarer Verkehrswerte“, die zwischen 80 und 120 Prozent des Verkaufswertes liegen.

Auf einer zweiten Stufe darf der Gesetzgeber dann aber Unterschiede machen, wenn er dafür „ausreichende Gemeinwohlgründe“ anführen kann. Schon heute gibt es hohe Freibeträge für Ehegatten (307.000 Euro), Kinder (205.000 Euro) und Enkel (51.000 Euro), die sicherstellen sollen, dass ein einfaches Wohnhaus mehr oder weniger steuerfrei vererbt werden kann. Der Gesetzgeber kann diese Freibeträge nun so erhöhen, dass ein Wohnhaus, das an enge Verwandte vererbt wird, auch künftig nicht oder kaum von der neu zu regelnden Erbschaftsteuer erfasst wird.

Auch das vom Bundestag geplante Gesetz zur Sicherung der Unternehmensnachfolge bleibt möglich. Danach soll der Erbe eines Familienunternehmens von der Erbschaftsteuer befreit werden, wenn der Erbe das Unternehmen fortführt und die Arbeitsplätze erhält. Auch dies dürfte Karlsruhe als sinnvollen Gemeinwohlgrund anerkennen.

Ansonsten müssen aber vor allem die Erben von Aktien und Unternehmensanteilen mit deutlichen Erhöhungen der Erbschaftsteuer rechnen, denn hier war das bisherige System besonders irrational. Bei Personengesellschaften und nicht-börsennotierten Aktiengesellschaften wurde nicht der Verkehrswert, sondern der oft viel niedrigere Bilanzwert besteuert.

Das nützte aber vor allem ertragsstarken Unternehmen mit vielen stillen Reserven – obwohl diese auf Subventionen bei der Erbschaftssteuer am wenigsten angewiesen sind. Solche Fehlsteuerungen soll der Gesetzgeber künftig verhindern.CHRISTIAN RATH