Der, der das Schweigen brach

FREITOD Fußballprofi Andreas Biermann verletzte ein Tabu, indem er seine Depressionen öffentlich machte – und war danach nur noch ein ehemaliger Fußballprofi. Nun hat er sich das Leben genommen

„Ich war nach der Therapie kein schlechterer Fußballer, aber einen neuen Vertrag habe ich nicht bekommen“

ANDREAS BIERMANN

VON ANDRÉ ANCHUELO

„Hallo, ich stehe für neue Aufgaben und Herausforderungen gern zur Verfügung“, steht auf der Website. Darüber ein aktuelles Foto eines Mannes, der den Betrachter anlächelt. Dieser Mann, dessen Visitenkarte im Netz scheinbar so offen der Zukunft zugewandt ist, lebt nicht mehr. Sein Name lautet Andreas Biermann, ehemaliger Fußballprofi. Er war keiner von den Schweinsteigers, Lahms oder Götzes, die jedes Kind kennt. Er war einer von denen, bei denen es unter optimalen Umständen vielleicht für eine passable Bundesligakarriere gereicht hätte. Für viele immer noch ein Traum.

Aber es sind keine optimalen Umstände. Als Jugendlicher spielt der gebürtige Berliner bei Hertha BSC. Doch wegen mehrere Schulterverletzungen bleibt ihm der Durchbruch in der Profimannschaft des Hauptstadtklubs verwehrt. Später sollten ähnliche Probleme folgen: Beim damaligen Regionalligisten Chemnitzer FC setzt ihn eine langwierige Knieverletzung außer Gefecht. Im Frühjahr 2008 scheint es endlich rund zu laufen für Biermann. Nach Stationen beim 1. FC Union und bei Tennis Borussia Berlin bekommt der Abwehrspieler bei Zweitligist FC St. Pauli einen Profivertrag. Am 10. März 2008 gibt er sein Debüt in der zweithöchsten deutschen Spielklasse.

Damals ist Biermann schon 28 Jahre alt – und hat bereits einen Suizidversuch hinter sich. Doch der wurde von den Ärzten noch mit seiner unsicheren Situation abgetan, wegen der Knieverletzung drohte ihm die Sportinvalidität. Im November 2009 nimmt sich Robert Enke, der Torwart der deutschen Nationalmannschaft, das Leben. Als dessen Witwe Teresa einen Tag später bei einer Pressekonferenz die Symptome von Enkes schwerer Depression schildert, erkennt Biermann darin seine eigene Krankheit wieder. Keine drei Wochen vor dem Tod des Nationalkeepers hatte Biermann einen zweiten Suizidversuch unternommen.

Biermann nimmt den damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger beim Wort und macht seine Krankheit öffentlich. „Werte wie Fairplay und Respekt sind gefragt“, hatte Zwanziger bei der Trauerfeier für Enke erklärt. Von Depressionen Betroffene sollten sich öffentlich dazu bekennen, es gelte, „das Kartell der Tabuisierer und Verschweiger“ zu brechen. 2011 bemerkt Biermann dazu in einem Interview: „Ein paar Wochen später wurde das Thema wieder totgeschwiegen.“ Vom DFB habe sich nie jemand bei ihm gemeldet.

Biermann schreibt mit Rainer Schäfer ein Buch mit dem Titel „Rote Karte Depression“. Doch der Profifußball zeigt nicht der Krankheit, sondern Biermann den Platzverweis. Obwohl körperlich wieder vollständig fit, bekommt er nach 2010, als sein Kontrakt bei St. Pauli ausläuft, keine neue Anstellung als Berufsfußballer. Selbst in der 3. Liga haben die Manager zu große Angst, dass Biermann dem Druck nicht gewachsen sein könnte. Bitter resümiert er, dass er wegen seines Outings seinen Job verloren habe: „Ich war nach der Therapie kein schlechterer Fußballer, aber einen neuen Vertrag habe ich nicht bekommen.“

Im Februar 2012 versucht Biermann ein drittes Mal erfolglos, sich das Leben zu nehmen. Im Internet wird er von Fans anonym beschimpft, ihm wird übersteigerter Geltungsdrang unterstellt, weil er den Suizidversuch öffentlich macht. Mit der Hoffnung, im Profifußball doch noch einmal Fuß fassen zu können, hat er da ohnehin längst abgeschlossen. In der Saison 2013/14 spielt Biermann in der Seniorenmannschaft der Spandauer Kickers. Deren Geschäftsführer Günter Hagedorn bestätigt am Samstagabend, was zuvor nur ein Gerücht gewesen war. Am Freitag hatte Biermann seinen vierten Suizidversuch unternommen – diesmal erfolgreich. Er habe „seine depressive Krankheit nicht überwinden können und ist gestern morgen verstorben“, erklärt Hagedorn.

Ehemalige Mitspieler, etwa von Union Berlin und dem FC St. Pauli, zeigten sich bestürzt. „Man dachte, dass er es in den Griff bekommt. Leider hat er es nicht geschafft“, sagte Torsten Mattuschka, der 2006/2007 gemeinsam mit Biermann beim 1. FC Union kickte. „Das ist eine Tragödie. Wie verzweifelt muss man sein, wenn man das als zweifacher Familienvater macht?“, so der Union-Kapitän. „Ruhe in Frieden, mein Biere“, schrieb Fabian Boll, Exteamgefährte bei St. Pauli, auf seiner Facebook-Seite.

Bei aller Trauer und momentanen Ratlosigkeit, wirft Biermanns Tod Fragen auf: Sind Depressionen ein besonderes Problem des Profifußballs? Oder ist es dort nicht anders als in anderen gesellschaftlichen Bereichen? Können Vereine und Verbände mehr tun? Schon jetzt ist klar, dass das Thema dringend wieder auf die Tagesordnung gehört.