Versteckte Botschaften

AUSSTELLUNG Künstlerische Produktion unter dem Schah, den Mullahs und im Exil: Die Pariser Ausstellung „Unedited History“ zeigt iranische Kultur von 1960 bis heute

Wirklich freie Kreativität ist seit 1979 nur im Ausland möglich. Die Kunstszene im Iran dagegen arbeitet wegen der Zensur mit Einschränkungen

VON GISELA FOCK

Teheran – eine kulturell florierende Metropole mit Kunstgalerien, regelmäßig erscheinenden Kulturzeitschriften, mit einer der innovativsten Kunstschulen und mit einem international besetzten Kulturfestival!? – Ja, in Irans Hauptstadt waren mehr als zwanzig privat geführte Kunstgalerien zu finden, über fünfzehn Kunstmagazine erschienen regelmäßig, das College of Decorative Arts bildete Irans künstlerische Avantgarde aus, und auf dem Festival Schiras-Persepolis traf sich die Kulturprominenz aus West und Ost mit iranischen Teilnehmern.

Das Mullah-Regime mit seinen religiös geprägten Vorstellungen von Kunst beendete 1979 diese Phase. Der Iran-Irak-Krieg formulierte dann seine eigenen Themen: Das Kriegsgeschehen beherrschte die künstlerische Produktion. Millionen Iraner verließen ihr Land, auch viele Kunstschaffende. Die geistig-kulturelle Verbindung blieb oft erhalten, und so entstanden iranische Werke im Ausland.

Mit dieser Geschichte beschäftigt sich die Iran-Ausstellung in Paris. Vier Kuratoren mit ihrer unterschiedlichen Kompetenz – für die Konzeption Catherine David und Odile Burluraux beziehungsweise Morad Montazami von der Tate Gallery als Experte iranischer Kunst sowie die Künstlerin und Kennerin der aktuellen Szene Narmine Sadeg, die hier selbst ausstellt – zeigen Kunstwerke von 26 Künstlern. Die ausgestellten Arbeiten können ästhetisch überzeugen und berichten vom politischen Zustand Irans, wie etwa die Karikaturen aus den 70er Jahren von Ardeshir Mohasses, in denen der Unterschied zwischen Oberschicht und Bestien aufgehoben zu sein scheint.

Prostitution in Teheran

Bis 1979 bestimmte, wie die Ausstellung zeigt, kreative Vielfalt Irans Kunstszene. Hier sticht besonders die 1978 zum ersten Mal gezeigte, im April dieses Jahres in Amsterdam und jetzt in Paris ausgestellte Fotodokumentation der Teheraner Prostitution von Kaveh Golestan hervor. Dem Kokuratoren Vali Mahlouji ist es zu verdanken, die Originalnegative, die bisher im Iran lagen, wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben. Ein weiterer Höhepunkt der Ausstellung ist die Rekonstruktion des Schiras-Persepolis-Festivals, die auch auf den Recherchen Mahloujis basiert. Fotos, Film-und Tondokumente belegen, welche außergewöhnlich avantgardistischen Produktionen im Iran zur Aufführung kamen.

Bei diesem Kaleidoskop an künstlerischer Freiheit stellt sich die Frage, wie die Unterdrückungsmaschinerie des Schahs zu diesen Kunstwerken stand. Hierauf gibt die Ausstellung eine Teilantwort: Dem Herrscherpaar Pahlavi diente die lebendige moderne Kultur als freiheitlich-demokratisches Aushängeschild. Es gab eine staatliche, recht willkürliche Kulturförderung, die Farah Pahlavi, Ehefrau des Schahs, verkörperte. Außerdem, und das erwähnt die Ausstellung nicht, verzichteten die meisten damals wirkenden Künstler auf direkte Kritik am Regime und am Schah. Wer sich daran hielt, musste nicht mit Verfolgung oder Ausstellungsverbot rechnen.

Ein weiterer Abschnitt der Ausstellung befasst sich mit der Revolution 1979 und mit dem Iran-Irak-Krieg. Eindrucksvolles fotografisches und fernsehdokumentarisches Material belegt den damals anfänglich herrschenden Konsens unter den ultralinken bis religiösen Gruppierungen. Die 80er Jahre sind dann vor allem von zwei Themen beherrscht: der Verherrlichung des religiösen Regimes, vertreten durch mehrere Gemälde von Kazem Chalipa, und dem Leiden der Soldaten und der iranischen Bevölkerung im Krieg gegen den Irak.

Bahman Jalali, einer der einflussreichsten Fotografen, hinterließ mit seinen Soldatenfotos ein eindrucksvolles Plädoyer gegen jeden Krieg. Obwohl das Ajatollah-Regime ansonsten hart gegen jede kritische künstlerische Auseinandersetzung vorging, akzeptierte es aus seinem propagandistisch verwerteten Märtyrerkult diese eigentlich sehr wertenden Aufnahmen. Die Arbeiten dieser Zeitspanne kamen laut Katalog mithilfe iranischer Institutionen, wie dem Ministerium für Glaubensfragen, nach Paris.

Mit einer Auswahl zeitgenössischer Arbeiten dokumentiert die Ausstellung aktuelles iranisches Kunstschaffen. Gezeigt werden Kunstwerke, die außerhalb Irans entstanden, denn wirklich freie Kreativität ist seit 1979 nur im Ausland möglich. Die Kunstszene im Iran dagegen arbeitet wegen der Zensur mit Einschränkungen und kann nur wie die Aktionskünstler Farhad Moshiri und Shirin Aliabadi mit unterschwelligen Botschaften agieren. In Paris nun werden Arbeiten gezeigt, die mit ureigenen iranischen Themen umgehen – wie in Narmine Sadegs Installation die legendenreiche Reise zum mystischen Vogel Simurgh, in Mohsen Rastanis Fotografien die Familienverhältnisse in der iranischen Provinz und in A. Hanaeis digitalen Bildern der bauliche Modernisierungsprozess in Teheran.

„Unedited“, in Form eines „Rohschnitts“, wie die Ausstellungsmacher einleitend erklären, präsentieren sie die jüngere Kulturgeschichte Irans. Die thematische und visuelle Vielfalt der Ausstellung entspricht dieser Bezeichnung, ein Redigieren hinsichtlich typisch iranischer Themen wie Religion und Kopftuch geschieht nicht. Stattdessen beschreibt die Ausstellung eine national und international fast vergessene Epoche iranischer Kreativität, gibt Einblick in die formativen Jahre der islamischen Republik und stellt Beziehungen zu den jüngsten Kunstwerken her.

■  Bis 24. August, Musée d‘art moderne de la Ville de Paris, Katalog 39 Euro