Polizei erforscht Demonstrationstaktiken

DIALOG Wie kann man effektiver gegen politische Proteste vorgehen? Beamte aus elf EU-Staaten finden es heraus

Die Linksfraktion aus Niedersachsen befürchtet eine Einschränkung des Demonstrationsrechts

VON BENJAMIN LAUFER

Die linke Szene in Wien hat schon ihre Bekanntschaft mit Godiac gemacht. Ende Januar demonstrierten Aktivisten gegen einen Burschenschaftlerball in der Hofburg, bei dem sich rechtsextreme Größen aus Europa trafen. Die Polizei ging gegen die Demonstration vor, die Studierendenvereinigung der Grünen warf den Beamten „rohe Gewalt“ und „unterlassene Hilfeleistung“ vor: „Offenbar wollte sich die Wiener Polizei gegenüber der EU-Forschungsgruppe Godiac, die den Umgang der Polizei mit der Demonstration beobachtete, besonders ‚fähig‘ präsentieren.“

Godiac ist der Name des im vergangenen Sommer gestarteten Projekts, bei dem Polizeibehörden aus elf EU-Staaten die Taktiken von Demonstrationsteilnehmern erforschen, um die besten Reaktionen der Polizei darauf zu entwickeln. Die Abkürzung steht für „Good practice for dialogue and communication as strategic principles for policing political manifestations in Europe“. Die einzige Landespolizei aus Deutschland, die sich an dem Projekt beteiligt, ist die niedersächsische. Auch beim gewalttätigen Einsatz gegen CastorgegnerInnen im November nahmen PolizistInnen aus verschiedenen Staaten teil. Die Linksfraktion im Landtag wittert hinter Godiac bereits die Schikanierung von DemonstrantInnen.

Zehn Feldstudien geplant

Vorgeblich geht es bei Godiac um Dialog und Kommunikation zwischen Polizei und den DemonstrationsteilnehmerInnen. Das Projekt ist dabei ausdrücklich auf politische Demonstrationen beschränkt. Die EU möchte ihr Wissen über DemonstrantInnen, ihre Ideologie und Strategie erweitern, heißt es in der Projektbeschreibung. Schließlich gebe es eine „Internationalisierung der Proteste“, die „große Herausforderungen“ für die Polizei berge. Es sollen „angemessene Maßnahmen“ entwickelt werden, um mit diesen Entwicklungen umzugehen. Dabei müssten sowohl die öffentliche Sicherheit als auch die Bürgerrechte garantiert werden, heißt es offiziell.

Zu diesem Zweck sollen zehn Feldstudien angefertigt werden, in deren Rahmen Demonstrationen von forschenden PolizistInnen beobachtet werden. Gegenstand der Untersuchungen soll zum Beispiel sein, wie die Protestierenden ihre Taktiken an das Vorgehen der Polizei anpassen. Auch die nonverbale Kommunikation der AkteurInnen soll untersucht werden. Insgesamt verfügt Godiac über 1,2 Millionen Euro, die zu 70 Prozent von der EU kommen. Bei den Castorprotesten führten die Godiac-MitarbeiterInnen Interviews mit Polizei und Protestgruppen.

Auch der Sozialwissenschaftliche Dienst der niedersächsischen Polizei kooperiere mit Godiac, sagte der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Wie das niedersächsische Engagement genau aussieht, will nun die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Pia Zimmermann, herausfinden. Unter anderem interessiert sie sich in einer Anfrage an die Landesregierung für die Kosten für den Haushalt.

Proteste verhindern

Zimmermann glaubt aber auch nicht, dass es bei Godiac um die Verbesserung des Dialogs zwischen Polizei und Protestgruppen geht. „Daran hat Schünemann doch gar kein Interesse“, sagt die Linken-Abgeordnete. Überall würden die Rechte der Demonstrierenden abgebaut. „Warum sollte das ausgerechnet bei Godiac anders sein?“ Sie vermutet vielmehr, dass die Kommunikation der Polizei verbessert werden soll mit dem Ziel, grenzüberschreitende Proteste zu verhindern. Die PolizeiforscherInnen würden Verhaltensweisen notieren, Fotos machen und Namen weitergeben, mutmaßt die Innenpolitikerin.

Neben der niedersächsischen Polizei beteiligt sich auch die Deutsche Hochschule der Polizei in Münster an dem Projekt. „Ich arbeite als Forscher gegen die berechtigte Angst, dass Bürgerrechte eingeschränkt werden“, sagt Joachim Kersten, Professor für allgemeine Polizeiwissenschaft an der Hochschule, der taz. Die Vermutungen, das Projekt richte sich gegen Linke, hält der Wissenschaftler für „altlinke Verschwörungstheorien.“ Ein „gutes und unterstützenswertes Projekt“ sei Godiac, bei dem es darum gehe, die Dialogfähigkeit zu verbessern, so Kersten. „Meine Mitarbeiter untersuchen, wie die Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten funktionieren.“ Die Polizei wolle so aus Fehlern lernen. „Die sind ja auch nicht völlig bescheuert“, sagt er. „Man hat die Erfahrung gemacht, dass bestimmte Strategien nicht funktionieren.“ So könne es zum Beispiel sinnvoller sein, bei gewalttätigen Demonstrationen deeskalierende DemoteilnehmerInnen zu unterstützen, statt polizeilichen Zwang anzuwenden. Das sei eine der Ausgangsideen für Godiac gewesen. Die nächste Feldstudie soll über die Proteste gegen die Sozialkürzungen in London angefertigt werden.