Nachsitzen im Theater

Durch das Zentralabitur boomt Lessing an den Bühnen des Landes. Doch auch die Anbieter von Nachhilfestunden und Schulbuchverlage profitieren von dem planbaren Unterrichtsstoff

von CHRISTIAN WERTHSCHULTE

Gestern Abend ist Emilia Galotti gleich zwei Mal gestorben. Sowohl in Gütersloh als auch in Düsseldorf ist die liebeskranke Fürstentocher aus Gotthold E. Lessings Trauerspiel von ihrem Vater ermordet worden, bis Monatsende wiederholt sich die Tat an fast jeder Bühne in NRW.

Schuld an dieser Häufung von Todesfällen ist Schulministerin Barbara Sommer (CDU). In ihrem Haus wurde das Stück zur Pflichtlektüre im Fach Deutsch für das Zentralabitur 2007. Zur Freude von Schulbuchverlagen, Theatern und Nachhilfeinstituten: Sie profitieren von der neuen Planungssicherheit. „Wir bekommen die Abituraufgaben aus dem Ministerium früh genug, um unsere Titel rechtzeitig anzupassen“, sagt Irina Pächnatz vom Cornelsen-Verlag. Christine Voszhans vom Schöningh-Verlag begrüßt vor allem die Stärkung „klassischer“ Autoren: „Vorher konnte es passieren, dass die Schüler nur mit abseitigen Themen wie der Literatur im Nationalsozialismus konfrontiert waren. Heute lesen sie an allen Schulen Vergleichbares.“ Diese Einschränkung stößt jedoch auch auf Ablehnung. „Welche Kultusbürokratie maßt sich eigentlich an, über die Lerninhalte zu entscheiden?“ kritisierte Dorothea Karpinski vom Mülheimer Verlag an der Ruhr. Sie konzipieren Bücher für die Lernförderung außerhalb des Lehrplans.

Auch Nachilfeanbieter profitieren vom Zentralabi. „Wir erleben gerade einen Boom in der Branche“, sagte eine Sprecherin des Schulministeriums zur taz. Die großen Nachhilfeinstitute bestätigen dies. „Wir haben neue Prüfungskurse für die zentralen Abschlussprüfungen eingerichtet“, sagt Klara Schachtner von der Schülerhilfe. Eltern und Schüler seien über die neuen Vorgaben aus Düsseldorf verunsichert, besonders nach den enttäuschenden Resultaten der Probeklausuren vom Sommer 2006. Beim Konkurrenten Studienkreis hat man dagegen nur das Lehrmaterial an die Anforderungen des Zentralabiturs angepasst. „Das ist ja nur eine Übergangskiste bis zum Start des 8-jährigen Gymnasium“, erläutert die Pädagogin Edith Arndt-Adam. Dann müsse nicht nur das Material fürs Gymnasium, sondern auch für die zentralen Abschlussprüfungen an Haupt- und Realschule neu gestaltet werden. Die Zusammenarbeit mit dem Ministerium funktioniere dabei reibungslos.

Den Theatern in Nordrhein-Westfalen hat das Zentralabitur in dieser Spielzeit ausverkaufte Ränge beschert. Das Schauspielhaus in Bochum reserviert gleich das große Haus für die Pflichtlektüre „Emilia Galotti“ und bietet Vormittagsvorführungen für den Bildungsbürgernachwuchs. In Duisburg hat Bernd Steindl das Stück mit einem Jugendensemble inszeniert: „Als Theatertext ist die Galotti faszinierend, bei der Fragestellung fürs Abitur schlafe ich aber ein.“ Es stoße dennoch auf positive Resonanz bei den SchülerInnen, so Regisseur Seidl. Seinen Spielplan will er sich von den Abiturthemen aber nicht diktieren lassen: „Für 2009 kann ich mir den ‚Don Carlos‘ nur schwer mit Jugendlichen vorstellen“.