„Sie trat nicht gern ins Rampenlicht“

Die finnische Malerin Helene Schjerfbeck kümmerte sich wenig um den Konservatismus ihrer Kollegen. Isoliert in einem Dorf, schuf sie intensive Frauenbildnisse und Selbstporträts. In Hamburg ist ab heute die erste große Retrospektive außerhalb Skandinaviens zu sehen

taz: Helene Schjerfbeck ist hierzulande so gut wie unbekannt, gilt in Finnland aber als Nationalheldin. Wie wird man das?

Maija Tanninen-Mattila: Man muss entweder nationalromantische Landschaften und bäuerliche Interieurs malen, wie sie es zu Beginn ihrer 70-jährigen Schaffenszeit tat, oder so intensive, fast bedrohlich persönliche Porträts und Selbstporträts schaffen, dass sich jeder angesprochen fühlt. Und das ist in Finnland der Fall.

Trotzdem war sie in Finnland nach vielversprechenden Anfängen – einer Medaille auf der Weltausstellung in Paris 1889 – lange vergessen. War das Ausdruck der Enttäuschung ihrer in der Nationalromantik des 19. Jahrhunderts ausharrenden finnischen Künstlerkollegen, die den Internationalismus Schjerfbecks nicht verstanden?

Leena Ahtola-Moorhouse: Die These, dass sie wenig geschätzt wurde, ist Teil des Mythos um ihre Person. Es war vielmehr so, dass sie selbst nicht gern ins Rampenlicht trat. Dass sie ihre eigenen Ausstellungen teils nicht besuchte, sondern Ruhe zum Arbeiten wollte. Lange wollte sie nicht, dass ihre Bilder in Finnland gezeigt würden, weil sie so berührt davon war. Sie wollte auch in den Zeitungen nichts darüber lesen. Sie war eine hoch empfindsame Person.

Ihre Künstlerkollegen, die, als Finnland russisch-autonomes Großfürstentum war, das finnische Nationalbewusstsein zelebrierten, waren also nicht enttäuscht, dass Schjerfbeck nach Paris reiste, um die pure Kunst zu studieren?

Ahtola-Moorhouse: In den 1890er Jahren mag es tatsächlich Enttäuschte gegeben haben – zumal sich Schjerfbeck wirklich nicht für Politik interessierte.

Kann man sagen, dass Schjerfbeck sich auch deshalb von der Nationalromantik löste, weil die letztlich provinziell ist? Oder darf man das in Skandinavien nicht sagen, weil diese Epoche dort als „heilig“ gilt?

Ahtola-Moorhouse: Doch, doch. Aber ich würde hier diplomatisch antworten. Gute, kraftvolle nationalromantische Bilder können phantastisch sein. Schjerfbeck allerdings pflegt einen anderen Blick. Sie leuchtet den Menschen wie ein Universum aus.

Schjerfbeck hat fast nur Frauen gemalt. War sie Feministin?

Ahtola-Moorhouse: Nein. Aber durch ihre Bilder hat sie dem Feminismus sicher einen Weg geebnet.

Sie hat also nicht weibliche Modelle gewählt, um eine politische Aussage zu treffen?

Ahtola-Moorhouse: Nein – zumal sie auch einige Männer malte. Der Grund für die vielen weiblichen Modelle war, dass sie in dem Dorf, in dem sie lebte, keine männlichen Modelle bekam. Denn die gingen zur Arbeit. Damals waren selbst skandinavische Frauen oft zu Hause, während die Männer draußen arbeiteten.

Schjerfbeck hat viele arbeitende Frauen gemalt. Wollte sie die Bedeutung der Arbeit für weibliche Identität pointieren?

Ahtola-Moorhouse: Ich glaube nicht. Sie war einfach an Menschen interessiert – welchen Beruf sie auch immer ausübten. Sie fand manche Menschen malbar, andere nicht. Deren gesellschaftliche Stellung war für sie bedeutungslos.

Schjerfbeck zählt in Skandinavien zu den wichtigsten Künstlerinnen, ist aber in Kontinentaleuropa kaum bekannt. Was ist das Markante, das Moderne an ihr?

Ahtola-Moorhouse: Sie pflegt einen sehr intensiven Blick. Sie hat Menschen – und auch Stillleben übrigens – sehr verdichtet und dramatisch, aber nicht aggressiv gemalt. Diese intensiv blickenden Figuren sind dem Betrachter nah, entziehen sich aber zugleich. Diese schwer greifbare Distanz zwischen Modell und Betrachter prägt ihre Bilder.

Die letzten 50 Jahre ihres Lebens hat Schjerfbeck – aus freiem Entschluss – mit ihrer Mutter in einem finnischen Dorf in einem einzigen Raum gelebt. Und während dieser Jahre selbständig die Abstraktion entwickelt. Brauchte sie gar keinen Austausch?

Ahtola-Moorhouse: Sie lebte abgeschieden, aber sie war nicht isoliert. Sie hat Kunstmagazine gelesen und sehr viel mit Freunden korrespondiert.

Als über 80-Jährige hat Schjerfbeck intensive, schonungslose Selbstporträts gemalt. Wollte sie so ihre Angst vor dem Sterben bannen?

Ahtola-Moorhouse: Vielleicht. Ein bisschen Angst vor dem Tod hatte sie sicher, zumal sie nicht religiös war. Große Angst hatte sie aber auch vor Einsamkeit. Sie hat sich immer um ihre Freunde und ihre Familie gesorgt.

Tanninen-Mattila: Andererseits war sie auch dankbar. In ihren letzten Briefen schreibt sie, dass ihr das Leben alles gegeben habe. INTERVIEW: PS

Die Ausstellung ist von heute bis zum 6. 5. in der Hamburger Kunsthalle zu sehen